Gefährlicher Trendbruch

Zins EZB Inflation

Von Dr. Daniel Stelter, Makroökonom und Strategieberater

40 Jahre sinkender Zinsen haben die Erfahrung einer Generation von Investoren geprägt. Das macht eine Trendwende so gefährlich. Erhebliche Vermögensverluste drohen und Gewinner werden jene sein, die weniger verlieren.  

Seit dem Zinshoch im Jahr 1982 sind die Zinsen in der westlichen Welt kontinuierlich gesunken. US-Staatsanleihen erbrachten vor 40 Jahren noch knapp 16 % Zins, beim Tiefpunkt zum Höhepunkt der Coronaepidemie war es weniger als ein halbes Prozent. Spiegelbildlich sind nicht nur die Kurse von Anleihen gestiegen. Praktisch alle Vermögenswerte von Aktien bis Immobilien profitierten von dieser Entwicklung. Zum einen, weil man sich angesichts der geringen Verzinsung mit der sicheren Alternative der Staatsanleihen mit geringeren Renditen zufriedengab. Zum anderen, weil es sich lohnte, mit immer mehr Verschuldung – Leverage – die Eigenkapitalrendite zu steigern. Davon machten Unternehmen ebenso Gebrauch wie die boomende Private-Equity-Branche. Nicht wenige, die sich für geniale Manager und Investoren halten und in den letzten Jahren Millionenvermögen anhäuften, haben nichts anderes getan, als den Megatrend immer tiefer (Zinsen) und immer höher (Verschuldung) zu reiten.  

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Mit Corona kam die Trendwende. Erstmals floss das frisch geschaffene Geld nicht nur in das Finanzsystem und befeuerte die Blase weiter, sondern auch in die Taschen der Bürger. Diese gaben und geben das Geld aus, was – wenig überraschend – die Preise trieb. Die lange totgeglaubte Inflation kehrte zurück. Und mit ihr, nach langem Zögern der Notenbanken, der Zins. Die Zinsen stiegen innerhalb von kurzer Zeit deutlich. Mit über 4 % für die 10-jährige US-Staatsanleihe wurde der langjährige Abwärtstrend deutlich nach oben durchbrochen. Für Charttechniker ein untrügliches Zeichen für eine Trendwende. 

Auch fundamentale Gründe lassen das Szenario einer Trendwende möglich erscheinen: Optimisten hoffen darauf, dass wir dank neuer Technologien die seit Jahren andauernde Phase geringer Produktivitätsfortschritte und damit geringen Wachstums überwinden. Pessimisten fürchten aufgrund der Endlichkeit der fossilen Rohstoffe und der Bemühungen um eine rasche Dekarbonisierung eine dauerhaft höhere Inflation. Auch wachsen angesichts der hohen Verschuldung die Sorgen, dass es nur mit deutlicher Inflation gelingen wird, die Staatsschulden wieder auf ein tragfähiges Niveau zu bringen. 

Egal woran es liegt: Stimmt die Einschätzung einer Trendwende beim Zins, stehen uns turbulente Jahre bevor. Die Rückabwicklung der Exzesse der letzten 40 Jahre wird nicht leicht, denn sie bedeutet Bankrotte, Schuldenrestrukturierungen, finanzielle Repression und eben Inflation, die durchaus höher ausfallen kann.

Realer Vermögenserhalt wird in diesem Umfeld zu einer echten Herausforderung. Anleihen – egal welches Schuldners – möchte man in diesem Szenario auf keinen Fall im Depot haben. Immobilien dürften durch die Zinserhöhung und – besonders in Deutschland – staatliche Eingriffe ebenfalls nicht attraktiv sein. Aktien mögen einen gewissen Schutz bieten. Der eigentliche Gewinner steht jedoch fest: Rohstoffe und Energie gehören in das Portfolio.

Zum Autor

Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Er betreibt den Ökonomiepodcast Beyond the Obvious.

Die Kapital Medien GmbH, der Verlag der Finanzzeitschriften AnlegerPlusAnlegerPlus News und AnlegerLand ist eine 100-%-Tochter der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

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