Die Marktintervention der EZB im Frühjahr 2020 war im öffentlichen Interesse

Christian Kopf
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Christian Kopf

Das Jahr 2020 wird neben der Coronaviruspandemie wegen der beispiellosen Verschiebungen in den Staats- und Zentralbankbilanzen in Erinnerung bleiben. Nach Prognosen von Union Investment werden die Staatsschulden im Euroraum im Jahr 2020 um etwa 980 Mrd. Euro ansteigen, was 8,5 % des Bruttoninlandsproduktes entspricht – weit über dem Richtwert der Maastricht-Regeln. Die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken im Euroraum war per 13.11.2020 im Jahresverlauf bereits um 2.169 Mrd. Euro auf 6.833 Mrd. Euro gewachsen, vor allem durch den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen sowie durch die langfristige Finanzierung von Geschäftsbanken.

Diese präzedenzlose Kreditaufnahme des Staates und Kreditfinanzierung der Zentralbanken erfolgten in Reaktion auf ebenso präzedenzlose Einschränkungen des Wirtschaftsgeschehens zur Eindämmung der Pandemie. Wie sind die Maßnahmen zu bewerten? Hierzu lohnt ein Blick auf die volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Wir können damit drei Sektoren unterscheiden: die Privatwirtschaft, den Staat und das Ausland. Da jeder Einkunft eine Ausgabe gegenübersteht, summieren sich die Finanzierungssalden dieser drei Sektoren zu null auf. Dem Defizit eines Sektors steht immer der Überschuss eines anderen Sektors gegenüber. Das gilt auch für die Veränderungen der Salden: Ein rückläufiges Haushaltsdefizit des Staates führt zu einem geringeren Finanzüberschuss des Privatsektors und/oder zu einem Anstieg der Forderungen an das Ausland (vgl. Abbildung). In der Eurozonen-Krise 2010 bis 2012 wurden die Mittelmeerländer und Portugal gezwungen, ihre staatlichen und privaten Finanzierungsdefizite abzubauen. Die Verbesserung dieser Finanzierungssalden, die mit einem Rückgang der Zinsen am Kapitalmarkt einherging, bedeutete spiegelbildlich eine tiefer ins Defizit rückende Kapitalverkehrsbilanz.

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Depression und Deflation hätten gedroht

Vor diesem Hintergrund traf uns die Coronaviruskrise. Im Frühjahr 2020 fuhren Unternehmen und Privathaushalte ihre Investitionen und Konsumausgaben drastisch zurück. Der Finanzierungsüberschuss des Privatsektors stieg sprunghaft an. Wenn der Staat nicht durch eine massive Ausweitung seines eigenen Finanzierungsdefizits reagiert hätte, wären ein sehr viel stärkerer Rückgang der Wirtschaftsaktivität und ein Abgleiten in Depression und Deflation die Folge gewesen.

Dabei kam den Zentralbanken eine wichtige Rolle zu. Sie mussten verhindern, dass durch den sprunghaft ansteigenden Finanzierungsbedarf des Staates in einer Situation extremer Unsicherheit die Risikoprämien am Kapitalmarkt in die Höhe schießen. Anders als Großbritannien, Japan oder die USA verschulden sich die Mitgliedsstaaten der Währungsunion nicht in ihrer eigenen Währung, sondern in einer Gemeinschaftswährung. Das birgt das Risiko, dass Anleger am Kapitalmarkt die Finanzierung einzelner Mitgliedsstaaten der Währungsunion plötzlich einstellen, wenn sie Sorge um dessen Finanzgebaren haben – wie das Beispiel Griechenlands gezeigt hat. Infolge dieses Währungsregimes ist der fiskalische Spielraum der Mitgliedsstaaten des Euroraums stärker begrenzt als in Ländern mit eigener Währung. Als die italienische Regierung ihr Haushaltsdefizit erhöhte, um den Auswirkungen der Coronaviruskrise zu begegnen, hat der Kapitalmarkt zunächst mit einem sprunghaften Anstieg der Renditen reagiert. Nur das beherzte Eingreifen der EZB konnte ein Wiederaufflammen der Eurozonenkrise verhindern und die Gefahr eines Auseinanderbrechens unseres Wirtschaftsraums infolge der gesundheitspolitischen Herausforderung bannen. Der deutliche Anstieg der Haushaltsdefizite und die dafür erforderliche Marktintervention der Europäischen Zentralbank im Frühjahr 2020 lagen somit im öffentlichen Interesse.

Zum Autor

Christian Kopf leitet seit 2017 das Rentenfondsmanagement von Union Investment. Neben der Aufsicht über die weltweite Anlage in Staats- und Unternehmensanleihen, im Geldmarkt und in strukturierten Finanzprodukten ist der Diplom-Ökonom Mitglied des „Union Investment Committee“, das Leitplanken für die anlageklassenübergreifende Kapitalmarktstrategie setzt.

Bild: Union Asset Management Holding AG

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