Was sich aus vergangenen Pandemien lernen lässt

Virus
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Gefährliche Erreger haben der Menschheit in ihrer Geschichte immer wieder schwer zugesetzt. Und obwohl Influenza, Masern, Pest und Cholera höchst unterschiedlich sind, so gleichen sich doch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen stets auf Neue.

Quarantäneanordnungen in Zeiten von Corona, Schließung von Geschäften und Schulen, Maskenpflicht, Verbot von Hochzeiten und Beerdigungen – alles nicht neu. Es waren genau dieselben Maßnahmen, wie sie 1918 getroffen wurden, um der rasenden Ausbreitung der „Spanischen Grippe“ Herr zu werden.

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Es ist eine Ironie der Geschichte, wie der Begriff der „Spanischen Grippe“ für die damalige Influenza A Subtyp H1N1, in die Welt kam. In Europa tobte seit 1914 der Erste Weltkrieg und alle kriegführenden Parteien unterdrückten die Berichterstattung über die Infektionswelle, die ab 1917 vor allem von Soldaten entlang ihrer Transportwege und in Lazaretten weitergetragen wurde. Spanien war jedoch neutral und erlaubte die Berichterstattung, sodass sich schon bald der Begriff „Spanische Grippe“ etablierte. Weil es als Folge des Krieges in Europa keine „wehrzersetzende“ Berichterstattung gab, galt die Spanische Grippe lange als weitgehend vergessene Pandemie. Heute ist der Informationsfluss zur Coronapandemie in autoritär regierten Ländern wie China, Russland und Weißrussland ebenfalls zensiert und zentral gesteuert.

Kein Lerneffekt

Nach heutigem Wissensstand grassierte die Spanische Grippe bereits seit 1915 unter Soldaten der europäischen kriegführenden Nationen. Die Schlagzeilen waren vom Gaskrieg, den Material- und Menschenschlachten, den ersten Panzern und Flugzeugen, dem Frontverlauf und der Revolution in Russland geprägt. Einer Grippewelle wurde keine Beachtung geschenkt. Britische Truppen brachten die Epidemie vom Kontinent auf die Inseln, amerikanische Truppen – die USA sind 1917 in den Krieg in Europa eingetreten – nach Nordamerika.

Die erste Welle verlief noch relativ glimpflich. Hauptsächlich waren Soldaten betroffen sowie Ärzte. Weil die Ärzte durch das Virus auch starben und kriegsbedingt ohnehin überfordert waren, schlug die Stunde der Krankenschwestern, die fortan im Wesentlichen für die Umsetzung und Einhaltung der Hygiene-Vorschriften verantwortlich zeichneten. Das Virus mutierte und verbreitete sich dann ausgehend von Fort Riley in Kansas ab 1918 in rasender Schnelligkeit über ganz Nordamerika. Am Ende waren 500.000 bis 900.000 US-Amerikaner gestorben, weniger als 1 % der Bevölkerung. In Frankreich waren es 400.000. In Indien und Indonesien verstarben dagegen 5 % der Bevölkerung, im Iran bis zu 20 %. Weltweit wurden 500 Millionen Menschen infiziert, von denen zwischen 20 und 100 Millionen, je nach Schätzung, starben.

Über die Spanische Grippe ist zwischenzeitlich viel geforscht worden. Und dennoch ist gerade in den Anfängen der aktuellen Pandemie kaum aus den Ergebnissen gelernt worden. Dies zeigt sich schon in dem sträflichen Mangel an Vorbereitung im Rest der Welt, nachdem sich Covid-19 zunächst über Wochen in China ausgebreitet hatte. Die Versäumnisse wiegen umso schwerer, als heute Real-Time-Informationen über High-Speed-Kommunikationsnetzwerke weltweit zur Verfügung stehen. Die Funktionsfähigkeit der globalen Vernetzung zeigt sich allerdings später an dem synchronen Absturz der Börsen auf allen Kontinenten.

Bekannte Lösungsansätze

Im weiteren Verlauf ähneln sich die Maßnahmen zur Eindämmung der Virus-Ausbreitung gestern wie heute jedoch. Während Seattle früh und dann auch San Francisco während der zweiten und tödlichsten Infektionswelle der Spanischen Grippe die Geschäfte schlossen, Versammlungen verboten, Abstandsregeln erließen und diese auch konsequent umsetzten, waren andere Städte wie Philadelphia und Boston nachlässig. Die Folge waren gravierend unterschiedliche Infektions- und Todeszahlen. Nachdem Seattle und San Francisco die Maskenpflicht eingeführt hatten und mit ihrer Anti-Infektionspolitik schnell Erfolge verzeichneten, wurden die Maßnahmen im Rest der USA und auch in Europa und Asien umgesetzt. Der Bürgermeister von San Francisco wurde sogar zu einer Strafe verurteilt, weil er ohne Maske einen Boxkampf besucht hatte.

Wegen der Einschränkung der Bürgerrechte formierte sich die Anti-Mask League mit mehreren Tausend Mitgliedern. Nach Abklingen der zweiten Welle wurde die Maskenpflicht aufgehoben und der Lockdown gelockert. Bei der dritten Welle 1919 wurde die Maskenpflicht wieder für sechs Wochen in Kraft gesetzt.

Der Stand der Medizin war damals nicht der beste. Beispielsweise wurden ernsthaft Dosen von acht bis 31 Gramm Aspirin täglich empfohlen. Dies löste bei 33 % der Patienten Hyperventilation aus und bei 3 % Lungenembolien. Dabei hat wohl auch eine Rolle gespielt, dass der Patentschutz für Bayer in den USA ausgelaufen war und viele einheimische Hersteller ihre Chance auf Marktanteilsgewinne nutzen wollten.

Unterschiede und Übereinstimmungen

Bezogen auf die Börsenentwicklung gibt es zwar Übereinstimmungen, aber die könnten sich als trügerisch erweisen. Zwischen Juni und Dezember 1917 stürzte der Dow Jones Industrials Index als Folge der ersten Welle um rund 33 % ab und nahm damit vorweg, dass die zweite Welle mit ihren vielen Todesopfern ihren Höhepunkt erst im Oktober 1918 erreichen sollte. Bis dahin hatte der Index die größten Verluste wieder wettgemacht und sollte 1919 um rund 30 % auf neue Höchststände klettern.

Zu bedenken ist allerdings, dass die Ausgangslage damals und heute höchst unterschiedlich ist. Damals der erste industrielle Krieg, der durch die USA ab 1917 zu einem Ende gebracht wurde, was im Anschluss bessere wirtschaftliche Perspektiven bot. Heute ein mit unkonventioneller monetärer Politik und Verschuldung erkaufter elfjähriger Aufschwung, dessen Ende schon vor der Pandemie absehbar war.

Die eigentliche Lektion aus der Geschichte der Pandemien könnte aber sein, dass stets das irrationale Element den sachlichen Erfordernissen im Weg steht. Die Pest des 14. Jahrhunderts, die in Europa bis zu 50 % der Bevölkerung dahinraffte, wurde als Apokalypse und Folge des Sündenfalls gesehen. Fremde wurden schon damals zu Sündenböcken gemacht. Während der sechs Cholera-Pandemien des 19. Jahrhunderts genoss die Ärzteschaft kein großes Vertrauen. Berichte über Leichenraub für Studienzwecke waren an der Tagesordnung. Es war die Zeit, in der Mary Shelleys Roman Frankenstein die Fantasie entzündet hatte.

Foto: © ffikretow – istockphoto.com

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