Ausblick 2023: Kurzfristig bleibt es schwierig, langfristig lohnt es sich durchzuhalten

Kapitalmarkt-Ausblick Tilmann Galler
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Von Tilmann Galler, Globaler Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt

Investoren in gemischten Portfolios aus Aktien und Anleihen hatten es in diesem Jahr wahrlich nicht leicht. Im Jahr 2022 wirkte eine Reihe marktübergreifender Verwerfungen, die zu den dramatischsten Verlusten von Mischportfolios seit 2008 führten. Was steht Anlegerinnen und Anlegern nun im neuen Jahr bevor? 

Nun, die Entwicklung an den Kapitalmärkten wurde sehr stark durch die Politik der Notenbanken bestimmt, und dies wird auch 2023 so bleiben. Es sprechen aber mehrere Gründe dafür, dass die Zentralbankpolitik im nächsten Jahr weniger restriktiv ausfällt. Denn es sind erste Anzeichen zu sehen, dass die Inflation zurückgeht, wenn sie auch deutlich oberhalb des Zentralbankziels verharrt. Aber das globale Wachstum verlangsamt sich bereits, der Arbeitsmarkt schwächt sich ab und die Lieferkettenproblematik lässt nach. Auch gelingt es Europa zunehmend, die Energieversorgung zu diversifizieren.

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Zwar sieht unser Kernszenario vor, dass Volkswirtschaften der Industrienationen 2023 in eine moderate Rezession fallen. Allerdings sind an den Börsen bereits viele schlechte Nachrichten eingepreist. Nach den Korrekturen haben sich die Aktienbewertungen reduziert und die zuletzt stark gestiegenen Renditen bei Anleihen machen auch diese Anlageklasse wieder deutlich attraktiver. 

Auf der Aktienseite sind günstige Qualitätsaktien mit Dividenden aussichtsreich. Unternehmen mit niedriger Verschuldung, rentablen Geschäftsmodellen und hohen Cashflows sind besonders gut für das Umfeld einer drohenden Rezession gewappnet.

Insbesondere Schwellenländeraktien enttäuschten 2022 die Erwartungen der Anleger an diese Wachstumsregion, da sie mehr als 10 Prozent hinter den Aktien der Industrieländer zurückblieben. Sollte das Basisszenario eintreten, dass vor allem die US-Notenbank den Zinserhöhungszyklus im neuen Jahr beendet, wird das die zyklischen Aktienmärkte der Schwellenländer begünstigen. Auch das Ende der Null-Covid-Politik in China wird für eine Erholung sorgen – nicht nur im Land der Mitte, sondern in der ganzen Region. Nicht zuletzt ist zu hoffen, dass die politischen Risiken nachlassen. Aufgrund des erheblichen Bewertungsrückgangs im vergangenen Jahr sind die Schwellenmärkte aber wieder zu einer attraktiven Wahl für zyklische Engagements in Portfolios geworden, auch wenn einige Risiken fortbestehen dürften.

Eine Ausrichtung des Portfolios auf nachhaltige Investments hat in diesem Jahr wenig zur Performance beitragen können. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, von der nachhaltigen Agenda abzuweichen. Diese Strategien werden vielmehr weiter auf der politischen Agenda stehen und die Kombination aus verbesserten Bewertungen und einer Erholung der globalen Wirtschaft wird diesen Investments weiter Rückenwind verleihen.

Langfristiger Ausblick so positiv wie seit mehr als einer Dekade nicht mehr

Und noch eine gute Nachricht: Wer über die kurzfristigen und zyklischen Marktbewegungen einen langfristigen Blick auf die Kapitalmärkte wirft, kann optimistischer in die Zukunft blicken. Unser langfristiger Kapitalmarktausblick „Long Term Capital Market Assumptions“ prognostiziert beispielsweise für ein 60/40-Portfolio aus Aktien und Anleihen in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine jährliche Rendite von durchschnittlich 5,1 Prozent. Im letzten Jahr lag diese noch bei lediglich 2,8 Prozent. Die Märkte bieten prospektiv die besten langfristigen Ertragschancen seit mehr als einem Jahrzehnt und die Renditeprognosen sind für alle Anlageklassen über das gesamte Risikospektrum hinweg positiv.

Sobald sich die gegenwärtigen Marktturbulenzen gelegt haben, werden Anlegerinnen und Anleger also wieder mehr Spielraum zum Erreichen ihrer angestrebten langfristigen Renditen haben. Aber das Ende der lockeren Geldpolitik wird auch zu einer größeren Streuung der Renditen über die Anlageklassen hinweg führen, was aktiven Managern wieder mehr Gestaltungsspielräume gibt. 

Dieser Artikel stammt aus der AnlegerLand 2023.

Foto: © Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

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