Die Landwirtschaft ist systemrelevant

Landwirtschaft Kaniber
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Von Michaela Kaniber, Bayerische Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Fehlendes Mehl im Supermarkt, leere Regale, wo sonst das Sonnenblumenöl stand – für viele Verbraucher war das im Frühjahr ein wahrer Schock, auch wenn die Lebensmittelversorgung bei uns in Mitteleuropa bislang nie wirklich in Gefahr war. 

Seit Wirtschaftswunderzeiten kennen wir alle nur volle Regale und eine unglaubliche Auswahl an günstigen Lebensmitteln. Die ständige Verfügbarkeit hat auch zu einer sinkenden Wertschätzung gegenüber denen geführt, die jeden Tag hart für unsere Lebensmittel arbeiten. Was wir nicht wertschätzen, wird für viele vermeintlich verzichtbar. In einer globalisierten Welt wuchs der Glaube an globale Warenströme just in time und an Preisoptimierung durch weltweite Arbeitsteilung und internationalen Handel.

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Doch schon die Coronapandemie mit ihren unterbrochenen Lieferketten hat zu einem ersten Aufschrecken geführt. Putins schrecklicher Angriffskrieg war schließlich der brutalste Wachrüttler – zumindest für jene, die nicht weiter die Augen vor den globalen Entwicklungen verschließen wollen.

In der Landwirtschaft geht es eben nicht um ein bisschen konservative Dorfromantik und ländliche Brauchtumspflege. Es geht um einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor. In Bayern wirtschaften rund 103.000 Betriebe in einer der landwirtschaftlichen Kernregionen Europas. Zusammen mit dem vor- und nachgelagerten Bereich generiert die Land- und Ernährungswirtschaft jährlich rund 139 Mrd. Euro Umsatz und beschäftigt rund 940.000 Menschen. Der Sektor Forst und Holz ist mit ca. 40 Mrd. Euro Jahresumsatz und rund 190.000 Beschäftigten ein wirtschaftliches Schwergewicht und Stabilitätsanker im ländlichen Raum. Zur größenmäßigen Einordnung: Im Freistaat gibt es knapp 6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.

Dabei dürfen wir nicht nur die Wirtschaftskraft und die ökonomische Bedeutung der Branche im Blick haben. Schon meine Eingangsworte machten deutlich, dass wir heute unbedingt über die Ernährungssicherung – die viele Jahrzehnte als überholt, ja fast schon als gestrig abgestempelt wurde – diskutieren müssen. Europa muss im Blick halten, wie es seine Ernährungssouveränität auf Dauer sicherstellen kann.

Zu gerne versucht die neue Bundesregierung, die Brisanz und die Debatte mit dem Wording von „den alten Sprechzetteln“ und dem „gegeneinander Ausspielen verschiedener Krisen“ wegzudrücken oder gar zu delegitimieren. Dabei geht es nicht um „alte Sprechzettel“, nein, die Herausforderung ist aktueller denn je und sie bestimmt unsere Zukunft.

Putin führt einen grausamen Krieg mit allen, auch mit allen völkerrechtswidrigen Mitteln. Er benutzt Hunger als Waffe, sowohl im direkt angegriffenen Land Ukraine wie auch ganz bewusst weltweit. Er nimmt Fluchtbewegungen nicht nur in Kauf, sie sind Teil seines Krieges, um den Westen zu destabilisieren. Leider ist Putin nicht der Einzige, der Ernährung als geostrategisches Druckmittel sieht. Auch China hält Weizen zurück. Das kommunistische Regime kann damit zum einen vorrangig das eigene Volk versorgen. Zugleich hat Peking damit auch ein geopolitisches Pfund in der Hinterhand: Es sichert sich hohe Einnahmen durch ein verknapptes Gut und zum anderen kann China seine Marktmacht in der Welt hervorragend ausspielen.

Was sollten wir daraus lernen? Die Versorgung mit Lebensmitteln ist heute eine Frage der nationalen, der europäischen Sicherheit. Sie ist zu einer Frage der Stabilität, der geostrategischen Stärke und der Souveränität geworden. Wir dürfen bei der Ernährung nicht den gleichen Fehler noch einmal machen, der uns bei der Energieversorgung passiert ist. Wir dürfen nicht von anderen Kontinenten und schon gar nicht von autoritären Regimen abhängig sein. 

Uns in der Energieversorgung unabhängiger von Importen zu machen, verlangt uns allen gerade sehr viel ab. Aber wie dramatisch wäre es, wenn wir bei Lebensmittellieferungen erpressbar wären? 

Deshalb brauchen wir in Brüssel dringend eine Folgenabschätzung für den Green Deal. Können wir einerseits Flächen stilllegen, Düngung zurückfahren, Pflanzenschutzmittel reduzieren, landwirtschaftliche Flächen für Siedlung, Ausgleichsflächen und Wind- und Fotovoltaikanlagen aus der Produktion nehmen und gleichzeitig erwarten, dass wir unsere Selbstversorgung sicherstellen können? Um darauf die Antwort geben zu können, brauchen wir einen europäischen Ernährungs-Sicherungs-Check.

Unser ganzheitlicher Politikansatz in Bayern, eine nachhaltige, produktive Landwirtschaft mit dem Umwelt- und Klimaschutz in Einklang zu bringen, ist der richtige Weg. Es geht eben nicht darum, den Krieg gegen den Klimawandel oder den Artenschutz auszuspielen. Wir brauchen intelligente Lösungen und wir in Bayern sind da ein leuchtendes Beispiel. Mit dem bayerischen Weg in der Agrarpolitik arbeiten wir kontinuierlich daran, die natürlichen Ressourcen in unserer Heimat zu schützen, Biodiversität zu sichern und mehr Tierwohl möglich zu machen. Gleichzeitig soll allen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben eine Perspektive für ihre zukünftige Entwicklung eröffnet werden: stark gegen den Klimawandel und ökonomisch tragfähig, um auch zukünftig die souveräne Erzeugung von Lebensmitteln zu gewährleisten.

Jeder zweite bäuerliche Betrieb in Bayern betreibt auf jedem dritten Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche Agrarumweltmaßnahmen. Wir können mit unseren kleinteiligen Strukturen die Blaupause für die Landwirtschaft in Europa sein. Wir haben die Landwirtschaft, die sich die Gesellschaft wünscht.

Aber: Unsere landwirtschaftlichen Betriebe können nur dann nachhaltig wirtschaften, wenn sie auch nachhaltig wirtschaftlich erfolgreich sind. Jeder Betrieb, der aufgibt, wird durch einen großen ersetzt, eventuell durch einen Unternehmer im Ausland. Im ungünstigsten Fall wird irgendwo Regenwald abgeholzt, um Lebensmittel für Europa zu produzieren, die mit Schiffen um die halbe Welt gefahren werden. Deshalb sagen wir: Regionale Versorgung ist auch mit Blick auf den Klimawandel die richtige Antwort.

Damit sich die Verbraucher aber auch künftig auf eine regionale Versorgung mit gesunden und nachhaltig produzierten Lebensmitteln verlassen können, muss die Bundesregierung dringend einige Weichen stellen. Sie muss endlich ein klares Bekenntnis zur Nutztierhaltung in Deutschland abgeben. Beim Tierwohl brauchen wir die gesamte Gesellschaft. Die sogenannte Borchert-Kommission hat dazu schon im letzten Jahr Lösungen aufgezeigt, die endlich umgesetzt werden müssen. Vor allem müssen wir an Importe die gleichen strengen Standards anlegen, wie auf hier produzierte Lebensmittel. Im Baurecht und beim Immissionsschutz können wir Bauernhöfe nicht wie Atomkraftwerke behandeln.

Doch kurzfristig macht uns große Sorgen, wie die Ernährungswirtschaft bei einer Gasmangellage behandelt wird. Diese Bundesregierung hat so viele Aufgaben vor sich. Dass die Ampelparteien sich gegenseitig blockieren und die Grünen sich ideologisch einmauern, muss uns sorgenvoll stimmen. Die Bundesregierung muss aus dem Modus der Sonntagsreden herauskommen und handeln. Wir haben dazu Vorschläge gemacht und helfen bei der Umsetzung mit.

Michaela Kaniber lebt mit ihrem Mann und den drei Töchtern in Bayerisch Gmain. Die gelernte Steuerfachangestellte merkte: Wer etwas bewirken will, muss selbst politisch aktiv werden. In der Folge wurde sie CSU-Ortsvorsitzende, dann Kreisvorsitzende. Seit 2013 vertritt sie das Berchtesgadener Land im Bayerischen Landtag. 2018 wurde sie Bayerische Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Dieser Artikel stammt aus der AnlegerLand 2023.

Foto: © Hauke Seyfarth / StMELF

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