Taiwan-Konflikt: politisches Risiko für die EU

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Wir haben den Diskurs verlernt. Zumindest drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man sich die Reaktionen ansieht, die der französische Präsident Emmanuel Macron im April hinsichtlich seiner Äußerungen zum Taiwan-Konflikt aus dem deutschen Politbetrieb geerntet hat. „Unsere Priorität kann es nicht sein, uns der Agenda von anderen in allen Weltregionen anzupassen“, hat Macron in Bezug auf den Taiwan-Konflikt festgestellt und dabei auf die USA abgezielt. 

Eine andere Meinung gegenüber Verbündeten zu vertreten, heißt nicht gegen etwas oder jemanden zu sein. Es zeugt von Reflexion, von Weiterentwicklung, von Selbstbewusstsein und einem eigenen Wertekanon. Ein politischer Diskurs, der in jeder Gegenposition einen Angriff auf die Solidargemeinschaft sieht, kann niemals in einem demokratischen Dialog enden. Monologe werden aber in autoritären Systemen geführt.

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Mit seiner Feststellung hat Macron die sakrosankte „regelbasierte Ordnung“, die die westliche Außenpolitik beherrscht, infrage gestellt: Wer gibt diese Regeln warum vor, und vor allem, zu wessen Vorteil? Ein solches Hinterfragen aus moralischen wie wirtschaftlichen Aspekten heraus ist von jedem gewählten Politiker zu fordern. Diesen Diskurs führt Macron mit Blick auf China und die USA.

Der Taiwan-Konflikt ist eines der Puzzlestücke in der Neuordnung der wirtschaftlichen und politischen Interessen der beiden Großmächte jeweils zulasten des anderen. Europa soll hier quasi als Faustpfand dienen und sich auf Druck der USA wirtschaftlich und diplomatisch von China entkoppeln. Für Europa wäre dies jedoch nur mit mehr wirtschaftlicher Abhängigkeit – dann von den USA – verbunden. Die europäische Wirtschaft und damit der Wohlstand könnten in dieser Konstellation ebenfalls nachhaltig darunter leiden. Denn die US-Wirtschaftspolitik auch in der Ära nach Trump ist stark protektionistisch, der Inflation Reduction Act der beste Beweis hierfür.

Möglicherweise hatte Macron aber noch einen ganz anderen Aspekt auf dem Zettel. Der Taiwan-Konflikt hat nämlich das Potenzial, die europäische Einheit zu beschädigen. In Bezug auf Russlands Krieg in der Ukraine ist es Europa mit Abstrichen gelungen, mit einer Stimme zu sprechen. Aufgrund der drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen bei einer zwangsweisen Entkoppelung von China könnten sich aber unüberwindbare Gräben zwischen den europäischen Staaten auftun. 

Die Wirtschaft als Brückenbauer, die das politische Risiko einer verfehlten Russlandpolitik grandios aufgefangen hat, stünde bei der Entkoppelung von China mit Sicherheit auf verlorenem Posten. Insofern besteht für Anleger nicht nur ein permanentes politisches Risiko für Investments in China, sondern derzeit auch ein immanentes politisches Risiko für europäische Titel. Und zwar so lange, wie die regelbasierte Strategie Europas im Hinblick auf China nicht zweifelsfrei feststeht.

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Foto: © unsplash.com, Jiachen Lin

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