Von Worten und Zahlen

Dr. Alexander Orthgieß
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Dr. Alexander Orthgieß

Börsen und Aktienkurse treiben manchmal seltsame Blüten. Eigentlich sind Kurse ja das Ergebnis der Schwarmintelligenz. Gibt es mehr Käufer als Verkäufer, steigen die Kurse und umgekehrt. Der Prozess dazwischen muss aber nicht immer einer berechenbaren Logik folgen.

Gibt es viel mehr Käufer als Verkäufer, steigen die Kurse umso höher und meisten auch schneller. Sind die Kurse dann irgendwann zu hoch, korrigieren sie, weil die Zahl der Kaufwilligen abnimmt und weil alles zu teuer ist.

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So weit die Theorie. In der Praxis zeigt sich, dass „zu teuer“ relativ ist. Zu teuer hat etwas mit Zahlen zu tun. Aber es gibt auch Phasen, in denen Anleger Zahlen weniger Beachtung schenken. Dann kommen wohlklingende Worte bei den Investoren besser an.

Glauben Sie nicht? Dann lesen Sie weiter.

Vor Kurzem habe ich mir ein Webinar angesehen. Zwei Fondsmanager mit unterschiedlichen Anlagestilen diskutierten über die derzeitige Verfassung der Börsen. Während der eine nur von den unerschöpflichen Möglichkeiten der Geschäftsmodelle von Plattformunternehmen schwärmte, brachte der andere Zahlen, Zahlen, Zahlen, d. h. Gewinn, Cashflow, Bewertung. Vermutlich würden beide lieber die Zahnbürste teilen, als in die Aktienfavoriten des jeweils anderen zu investieren.

Und jetzt raten Sie mal, welcher Fondsmanager mit seinem Fonds in den letzten zwei Jahren die Nase vorne hatte … Der Fondsmanager, der in schönen Worten Geschäftsmodelle erklärt, denen die Zukunft gehört. Wer möchte schon Zahlen bemühen, da für solche Technologien doch scheinbar die Bäume in den Himmel wachsen. Erst seit der Vorstellung von geeigneten Coronaimpfstoffen kann der „Zahlenmensch“ den Performancerückstand verkürzen.

Sie mögen jetzt einwenden, dass es immer irgendwelche Übertreibungen gibt und dass das angeführte Beispiel möglicherweise ein Einzelfall ist. Und auch, dass die Börsenriesen im Silicon Valley mit ihren disruptiven Technologien, die erstmals ein exponentielles Wachstum möglich machen, nicht ansatzweise so teuer sind wie die Deutsche Telekom im März 2000.

Richtig, aber wieder zurück zu einem einfachen Zahlenvergleich. Nehmen wir mal Apple, das Unternehmen mit der weltweit höchsten Marktkapitalisierung. Ich muss gestehen, ich bin ein Fan des Technologieunternehmens. Vermutlich würde ich auch deren selbstfahrendes Auto kaufen, aber das dauert wohl noch. Mitte letzten Jahres hatte Apple eine Marktkapitalisierung von 1.651 Mrd. US-Dollar – zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung aller Aktien Südkoreas belief sich damals auf nur 1.475 Mrd. US-Dollar und eine davon heißt Samsung. Damals hätten Sie theoretisch zwischen einem grandiosen Unternehmen oder allen Aktien eines ganzen Landes inklusive eines Weltmarktführers bei Smartphones, Speicherkarten, Fernseher und anderen Elektrogeräten und zusätzlich noch rund 175 Mrd. US-Dollar in bar obendrauf wählen können.

Was hätten Sie gewählt?

Inzwischen hat sich das Missverhältnis etwas entspannt, denn Mitte dieses Jahrs war Apple zwar bereits 2.275 Mrd. US-Dollar wert, die Marktkapitalisierung Südkoreas stieg aber auch immerhin auf 2.326 Mrd. US-Dollar. Zahlen scheinen wieder wichtiger zu werden als Worte. Oder anders ausgedrückt: Die Schwerkraft kann man auch an der Börse nicht umgehen.

Was heißt das nun für uns Anleger?

Wir können zwar beobachten, wann die Zeit für visionäre, in die Zukunft gerichtete „Wort-Investments“ ist und wann eher für gegenwartsorientierte „Zahlen-Investments“. Aber wir wissen nicht, wann der Wind dreht. Deshalb achten Sie auf eine gesunde Mischung zwischen den beiden Phasen. Typischerweise wechseln sich Wort und Zahl immer wieder ab. Lassen Sie Gewinne ruhig eine Zeit lang laufen, aber nehmen Sie ab und an Gewinne mit. Vor allem dann, wenn in Zukunft alles anders werden soll. Davon ist noch keiner arm geworden.

Zum Autor

Dr. Alexander Orthgieß verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Auswahl von Investmentfonds. Er war Vorstand bei der renommierten Münchner Vermögensverwaltung Döttinger/Straubinger und nach der Fusion mit dem Hamburger Family Office Spudy&Co Mitglied der Geschäftsleitung bei Auretas Family Trust. Seit 2019 berät er den BAGUS Global Balanced Dachfonds (www.bagus-capital.com).

Foto: © BAGUS Capital GmbH

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