Prospekthaftung bei Crypto Assets

Justitia

Das Berliner Landgericht hatte sich bereits im letzten Jahr mit der Frage der Haftung für unrichtige Angebotsunterlagen bei Ausgabe von Token, digitalen Assets, befasst (LG Urteil vom 27. Mai 2020 – 2 O 322/18).

Immer häufiger können Finanzanlagen (im weiten Sinne) als sogenannte Crypto Assets erworben werden. Es erfolgt also keine Verbriefung mehr wie bei klassischen Wertpapieren. Die Abbildung der Anlage erfolgt ausschließlich digital, z. B. auf einer sogenannten Blockchain. Der Gesetzgeber reagiert auf diese moderne Technologie, beispielsweise am 6. Mai 2021 mit dem  Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpPG). Der vorliegende Fall, den wir nachfolgend skizzieren, fand davor statt.

Sachverhalt

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen des Erwerbs von sogenannten Token. Diese hatte er von der Beklagten zu 2. im Rahmen eines sogenannten Initial Coin Offering (ICO) gegen Einzahlung von Kryptowährungen ausgegeben.

Die inzwischen liquidierte Beklagte zu 2. gab Token als unverbriefte Genussrechte nach deutschem Recht aus – unter Mitwirkung der Beklagten zu 1. –, dazu als Anlegerinformation im Vorfeld des ICO einen Prospekt und ein sogenanntes „White Paper“. Sie schloss mit den zeichnenden Anlegern das im Anhang II des Prospekts abgedruckte „EVN Subscription Agreement“. Die Zahlung erfolgte auch in den sogenannten Kryptowährungen Bitcoin oder Ether.

Die Schweizer Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA teilte später mit, dass die Beklagte zu 2. von Anlegern unerlaubt Publikumseinlagen ohne finanzmarktrechtliche Bewilligung entgegengenommen habe, womit sie Aufsichtsrecht schwer verletzt habe. Sie habe „Token-Inhabern nach Ablauf von 30 Jahren einen Rückzahlungsanspruch“ gewährt. Eine Rückzahlung der Anlagen am Ende der Laufzeit war – jedenfalls von Seiten der Beklagten zu 1. – jedoch nicht vorgesehen. Es standen auch planmäßig keine Mittel zur Rückzahlung zur Verfügung. In der Folge rügt der Kläger diverse Prospektmängel.

Prospekthaftung im engeren Sinne greift (hier)

Der Klagepartei steht ein Anspruch nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im engeren Sinne zu, die hier anwendbar sind und nicht von spezialgesetzlichen Regelungen verdrängt werden.

„§§ 22, 21 WpPG in der bis zum 20.07.2019 geltenden Fassung sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Token nicht um Wertpapiere im Sinne des § 2 Nr. 1 WpPG in der bis zum 20.07.2019 geltenden Fassung handelt, da es sich nicht um ein nach sachenrechtlichen Bestimmungen übertragbares Wertpapier handelt. Hierfür ist wiederum entscheidend, ob es eine Verbriefung, wenn auch ‚nur‘ in Form einer Dauerglobalurkunde, gibt. Sofern es an einer Verbriefung fehlt, scheidet eine Einordnung als Wertpapier gemäß WpPG aus.“ Zudem sollten „die Token nach den Ausführungen im Prospekt und im Subscription Agreement nicht im Inland angeboten werden.“ Deshalb scheidet auch das § 20 VermAnlG (Vermögensanlagengesetz) aus.

„Mangels spezialgesetzlicher Regelung sind die Grundsätze der Prospekthaftung im engeren Sinne auf den vorliegend verwendeten Prospekt anzuwenden. Deren Anwendung ist hier geboten, da es sonst im hiesigen besonderen Fall aber auch allgemein im Falle der Anwendbarkeit deutschen Rechts – z. B. durch entsprechende Rechtswahl – zu dem Ergebnis kommen könnte, dass nach deutschem Recht eine Haftung für einen fehlerhaften Prospektinhalt nicht besteht, wenn die mit dem Prospekt beworbene Anlage nicht den spezialgesetzlichen Tatbeständen unterfällt oder aber ein Angebot im Inland unterbleibt.

Insbesondere Letzteres könnte dazu führen, dass deutsches Recht bewusst gewählt würde, um eine Prospektpflicht zu vermeiden und im Falle eines freiwilligen Prospekts auch keiner anderweitigen Prospekthaftung zu unterliegen. Dass diese Möglichkeit besteht, wenn man im Hinblick auf die inzwischen ausgedehnte spezialgesetzliche Prospekthaftung eine Anwendung der Prospekthaftung im engeren Sinne verneint, scheinen die Vertreter der Ansicht, dass für die Prospekthaftung im engeren Sinne kein Anwendungsbereich mehr verbleibe, zu übersehen.“

„Prospekt ist eine marktbezogene schriftliche Erklärung, die für die Beurteilung der angebotenen Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Anschein eines solchen Inhalts erweckt. Sie muss dabei tatsächlich oder zumindest dem von ihr vermittelten Eindruck nach den Anspruch erheben, eine das Publikum umfassend informierende Beschreibung der Anlage zu sein. […] Diesem Anspruch genügen Prospekt und Whitepaper. […]

Nach der Rechtsprechung des BGH haften aus Prospekthaftung im engeren Sinn neben dem Herausgeber des Prospekts auch die Initiatoren, Gründer und Gestalter der Gesellschaft für fehlerhafte oder unvollständige Angaben in dem Emissionsprospekt, soweit sie das Management der Gesellschaft bilden oder es beherrschen, einschließlich der sogenannten ‚Hintermänner‘.

Prospekt fehlerhaft

„Der Prospekt stellt in der Regel die einzige Informationsquelle des Anlegers dar und hat daher alle für die Entscheidung des Anlegers wesentlichen Angaben vollständig und richtig zu enthalten. […] Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss einem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein richtiges Bild über das Beteiligungsobjekt vermittelt werden, d. h., er muss über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufgeklärt werden.“ Dies sei hier in mehreren Punkten nicht der Fall.

„Die Beklagte zu 1. hat die mangelhafte Aufklärung in den Prospekten auch zu vertreten. […] Die festgestellten Prospektfehler waren auch kausal für die Anlageentscheidung. […] Der Ursachenzusammenhang zwischen Prospektmängeln und der Entscheidung des Anlegers liegt vor, wenn diese zumindest auch von den unrichtigen oder unvollständigen Prospektangaben mitbestimmt war und wenn sich der Anleger in Kenntnis der wahren Sachlage nicht an dem Anlageobjekt beteiligt hätte. […]

Dabei entspricht es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichthofs der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist. […] Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. […] Die Vermutung ist als widerlegt zu betrachten, wenn etwa nachgewiesen werden kann, dass der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat. […] Das kann die Kammer aber nicht feststellen.“

„Die Klagepartei ist so zu stellen, wie sie stünde, wäre der schadensbegründende Umstand nicht eingetreten.“ Der Entscheidung ist zugrunde zu legen, dass, wäre die Klagepartei ordnungsgemäß und vollständig aufgeklärt worden, sie sich an dem ICO nicht beteiligt und die Token nicht gezeichnet hätte. Sie ist also so zu stellen, wie sie stünde, hätte sie sich am ICO nicht beteiligt.“

Die Kammer sieht im Ergebnis einen Anspruch in EUR gegeben, da „der äußere Geschehensablauf dafür spricht, dass Kryptowährungseinheiten gerade mit Blick auf den ICO und zu zeichnende Token erworben wurden.“

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