Von Prof. Dr. Martin Werding, Ruhr-Universität Bochum
Altersvorsorge auf Aktienbasis, ist das nicht Wahnsinn? Nein, es ist die passende Antwort auf die großen Probleme, die der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) aufgrund der demografischen Alterung bevorstehen.
Der Beitragssatz der GRV beginnt in naher Zukunft unaufhaltsam zu steigen. Von 18,6 Prozent der beitragspflichtigen Einkommen springt er unter dem geltenden Recht bald auf 20 Prozent und steigt bis 2035 weiter auf 22 bis 23 Prozent. Gleichzeitig geht das Sicherungsniveau der gesetzlichen Renten zurück, von heute rund 49 Prozent auf 45 bis 46 Prozent der Versichertenlöhne (netto vor Steuern). Mit einer dauerhaft geltenden „Haltelinie“ für das Sicherungsniveau bei 48 Prozent müsste der Beitragssatz noch stärker steigen.
Dies sind keine Horrorzahlen, mit denen Stimmung gegen das Rentensystem gemacht werden soll. Vielmehr steht es so im jüngsten Rentenbericht der Bundesregierung. Versucht man weiter in die Zukunft zu schauen, zeigt sich, dass die ungünstigen Trends bei Renten und Beiträgen anhalten. Ohne neue Reformen werden wir bis 2060 und noch länger Jahr für Jahr über zu niedrige Renten, zu hohe Beiträge oder beides zugleich jammern. Grund dafür ist der laufende Alterungsprozess unserer Gesellschaft, der die Zahl der Beitragszahler je Rentenbezieher immer weiter schrumpfen lässt.
Fehler der Riester-Rente
Einziger Ausweg aus dieser Situation ist ein rascher Ausbau ergänzender, kapitalgedeckter Altersvorsorge. Die Politik hat ihn bereits vor 20 Jahren – leider viel zu halbherzig – eingeleitet. Die größten Fehler der „Riester-Rente“ sind, dass die Beteiligung völlig freiwillig blieb, dass die Produkte zu intransparent, ihr Vertrieb und ihre Verwaltung zu teuer und die erzielbaren Erträge zu niedrig waren. Bei einer klug gestalteten, aktienbasierten Vorsorge lassen sich alle diese Fehler vermeiden.
Ergänzende Altersvorsorge muss verbindlicher werden, mindestens durch eine automatische Einbeziehung aller gesetzlich Versicherten, der sie aktiv widersprechen können. Nötig ist ein einfaches Standardprodukt, am besten in einer öffentlich verwalteten Basisvariante, neben der auch private Anbieter zugelassen werden können. Das Vorsorgevermögen sollte überwiegend als breit gestreutes Aktienportfolio angelegt werden, das langfristig die höchsten Renditen verspricht. Anschauliche Vorbilder für solche Arrangements bieten das schwedische Prämienrentensystem, das seit dem Jahr 2000 Merkmale staatlicher und privater Vorsorge kombiniert, oder die neue betriebliche Altersvorsorge in Großbritannien seit 2012.
Schnelle Reformen nötig
Kursschwankungen einzelner Aktien neutralisiert die breite Streuung bei eher passivem Fondsmanagement. Längerfristige Aufs und Abs der Börsen, einschließlich möglicher Krisen, verlieren bei gestaffelten Einzahlungen, die sich bei der Altersvorsorge von allein ergeben, und Haltefristen von bis zu 40 Jahren an Bedeutung. Lediglich für Versicherte, die auf das Rentenalter zusteuern, sollte der Aktienanteil ihres Portfolios Schritt für Schritt verringert werden, weil die Zeit zum Ausgleich sinkender Kurse kürzer wird.
Umsetzen lässt sich so ein Grundkonzept in der zweiten wie in der dritten Säule der Alterssicherung. Im Koalitionsvertrag wird angekündigt, dies auch in der ersten Säule zu probieren. Klare Pläne dafür liegen jedoch noch nicht vor. In jedem Fall sollte der Einstieg in eine Aktienrente schnell erfolgen, denn der Vermögensaufbau kostet Zeit und der demografische Alterungsprozess wartet nicht.
Zum Autor
Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forschungsthemen sind insbesondere Alterssicherung und Effekte des demografischen Wandels. Im Rahmen einer Studie hat er das Aktienrenten-Konzept der FDP untersucht. Martin Werding ist als Nachfolger von Volker Wieland für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen worden. Die offizielle Ernennung durch die Bundesregierung steht noch aus.
Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 6/2022.
Foto: © Ruhr-Universität Bochum