Wirecard: Klage gegen die BaFin

BaFin Wirecard

In erster Instanz verneinte das Landgericht Frankfurt am Main einen Anspruch der geschädigten Wirecard-Aktionäre gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Urteil vom 19.1.2022, Az. 2-04 O 65/21). 

Die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals vor den deutschen Gerichten steht noch am Anfang. Neben Ansprüchen gegen die Vorstandsmitglieder wurden auch Klagen gegen die Abschlussprüfungsgesellschaft und die Finanzaufsicht eingereicht. Zu Letzterer macht nun ein erstinstanzliches Gericht geschädigten Anlegern wenig Hoffnung auf Schadensersatz.

Sachverhalt

Die klagende Aktionärin der Wirecard AG beansprucht von der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. „Wirecard-Skandal“. Die Beklagte ist die Finanzaufsichtsbehörde der Bundesrepublik Deutschland, der neben einer Bilanzkontrolle auch die Marktmissbrauchsüberwachung obliegt. 

„Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Beklagte habe über Jahre ihre gesetzlichen Pflichten zur Aufklärung, Untersuchung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulationen […] und zur zutreffenden und vollständigen Information der Öffentlichkeit und des Kapitalmarktes verletzt. Sie habe konkrete Hinweise auf Verstöße […] gegen Rechnungslegungsvorschriften weder zum Anlass pflichtgerechter Prüfung genommen noch zur sachgerechten Informationen der Öffentlichkeit. Die Beklagte hätte die Bilanzkontrolle“ nach den §§ 106 ff. WpHG an sich ziehen können und müssen. 

„Ferner läge ein jahrelanger Amtsmissbrauch der Beklagten vor, zumal Bedienstete der Beklagten selbst mit A-Aktien gehandelt hätten und die Beklagte nur einseitig agiert hätte. In diesem Fall bedürfe es keiner drittbezogenen Amtspflicht.“ 

Keine Amtspflichtverletzung

Nach Ansicht des LG Frankfurt scheidet ein Anspruch wegen der Verletzung einer sie schützenden Amtspflicht, § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG, „bereits deshalb aus, weil Amtspflichten der Beklagten nicht gegenüber dem einzelnen Anleger und damit nicht gegenüber der Klägerin bestehen.

Sowohl § 839 BGB als auch Art. 34 Satz 1 GG setzen für eine Haftung voraus, dass der Amtsträger ‚die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht‘ verletzt hat. Ob im Einzelfall der Geschädigte zu dem Kreis der Dritten i.S.d. § 839 BGB gehört, richtet sich danach, ob die Amtspflicht – wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch – den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 839 BGB eine Schadensersatzpflicht. Es kommt danach auf den Schutzzweck der Amtspflicht an.“

„In § 4 Abs. 4 FinDAG ist ausdrücklich bestimmt, dass die Beklagte ihre Aufgaben und Befugnisse nach den §§ 6, 11, 106 ff. WpHG ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sind Ansprüche einzelner Anleger aus Amtshaftung wegen behaupteter Pflichtverletzung der Beklagten ausgeschlossen. […] Der einzelne Anleger wird indes durch die bankaufsichtsrechtliche Tätigkeit der Beklagten lediglich mittelbar als bloß reflexartige Folgewirkung der im öffentlichen Interesse gegenüber den beaufsichtigten Unternehmen ergriffenen Maßnahmen geschützt.“

„Anlass zu einer abweichenden Bewertung besteht, entgegen der Ansicht der Klägerin, auch nicht mit Blick auf den durch das Kleinanlegerschutzgesetz mit Wirkung zum 10.07.2015 eingeführten § 4 Abs. 1a FinDAG. […] So betont der Gesetzgeber ausdrücklich, dass es sich um den kollektiven und nicht den individuellen Verbraucherschutz handelt. […] Es gebe keinen individuellen Anspruch der Verbraucherinnen und Verbraucher auf ein Tätigwerden der Bundesanstalt.“

Kein Amtsmissbrauch

„Auch greift keine Ausnahme unter dem Aspekt des Amtsmissbrauchs zugunsten der Klägerin ein. In Fällen des Amtsmissbrauchs wird der Kreis der geschützten Dritter besonders weit gefasst. […] Ein Amtsmissbrauch liegt insbesondere vor, wenn eine Amtstätigkeit aus sachfremden, rein persönlichen Gründen erfolgt, unterbleibt, verzögert oder mangelhaft ausgeführt wird. […] Allein der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten genügt hierzu nicht. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, wobei sich die Verwerflichkeit aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der das Handeln tragenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.“ 

Dies wurde nicht substantiiert vorgetragen. „Allein der Umstand, dass Mitarbeiter der Beklagten Aktien der W. AG besessen und mit diesen gehandelt hätten, vermag ein sittenwidriges Verhalten nicht zu begründen. […] Zudem ist nicht ersichtlich, dass diese Mitarbeiter der Beklagten auf Grund der angeblichen Pflichtverstöße nicht an dem Wertverfall der Aktien teilgenommen haben.“

„Allenfalls könnte man im Sinne der Klägerin annehmen, die Tätigkeiten der Beklagten seien zum einen zu spät erfolgt und seien zudem in die falsche Richtung entfaltet worden, indem die Beklagte die Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der [W. AG] nicht als zutreffend angenommen und demgemäß untersucht hat, sondern sie davon ausgegangen ist, die Vorwürfe seien unzutreffend, so dass sich die Prüfung darauf konzentrierte, ob das Erheben dieser unzutreffenden Vorwürfe Gegenstand betrügerischer Handlungen sein kann. 

Doch selbst wenn man hieraus den Vorwurf ableiten wollte, die Beklagte sei gehalten gewesen, an dieser Stelle mit ihren Prüfungen zweigleisig zu fahren, und sowohl die Hypothese eines Zutreffens der Vorwürfe wie deren Haltlosigkeit als Alternativen einer Prüfung zu unterziehen, ließe sich hieraus kein amtsmissbräuchliches Verhalten ableiten.“

Subsidiarität des Anspruchs?

„Kommt eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ernsthaft in Betracht, ist eine Amtshaftungsklage unschlüssig.“ Es kommen vorliegend anderweitige Ersatzmöglichkeiten der Klägerin in Form von Ansprüchen gegen die Vorstände und die Abschlussprüfer der W. AG ernsthaft in Betracht. Wegen der Insolvenz sei eine umfängliche Verweisung auf Ansprüche gegen die AG unzumutbar. Beim Anspruch gegen Vorstandsmitglieder „kann zumindest der Einwand einer zukünftigen möglichen Insolvenz dieser Personen nicht verfangen, denn es kommt auf die ex-ante Perspektive an. […] Nur wenn der Dritte nachweisbar vermögenslos ist, ist eine Inanspruchnahme nicht zumutbar.“ Dass einer der Vorstände „unbekannten Aufenthalts und auch für die staatlichen Stellen derzeit unerreichbar ist, […] könnte durch eine öffentliche Zustellung einer Klage“ nach § 185 ZPO überwunden werden.   

Auch kommen Ansprüche gegen die vormaligen Abschlussprüfer, „etwa aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 332 HGB, oder aus § 826 BGB in Betracht. […] Dass insofern hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, zeigt insbesondere der terminsvorbereitend gegebene Hinweis des OLG München im Verfahren 8 U 6063/21.“

Die Handlungsoptionen geschädigter Wirecard-Anleger zeigen wir in einem eigenen Artikel auf.

Foto: © Kai Hartmann Photography / BaFin

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