Der digitale Euro – Politische Ambitionen treffen auf ökonomische Realitäten

Heike Mai

Heike Mai

Die Einführung eines digitalen Euros rückt näher: Jeder in Europa soll Zugang zu digitalem Zentralbankgeld bekommen. Da die EZB keine Risiken für die Finanzstabilität eingehen will, ist jedoch eine Mengenbegrenzung pro Nutzer zu erwarten. Diese könnte bei EUR 3.000 liegen. Entweder wäre dies eine fixe Höchstgrenze oder Beträge über dieser Schwelle würden mit prohibitiven Zinsen belegt.

Der digitale Euro soll vor allem eine Option zum Bezahlen werden, kein Instrument zur Geldanlage. Banken und andere regulierte Zahlungsdienstleister werden die Verwahrung für „individual users“ (Fokus auf Bürger, aber Unternehmen nicht ausgeschlossen) in Wallets anbieten. Es ist noch offen, ob die Zahlungen über eine Blockchain laufen werden oder doch über das bestehende EZB-Verrechnungssystem TIPS für Instant Payments (Echtzeitzahlungen).

Ziel ist außerdem, den Bürgern ein möglichst hohes Maß an Datenschutz zu bieten unter gleichzeitiger Einhaltung der Geldwäschegesetze. Die EZB betont, dass der digitale Euro nicht zur Durchsetzung noch tieferer negativer Zinsen geplant sei. Eine Verzinsung von null ist wahrscheinlich.

Angesichts dieses pragmatischen, aber wenig innovativen Designs stellt sich die Frage, welche Probleme oder Angebotslücken im Zahlungsverkehr der digitale Euro überhaupt lösen bzw. schließen soll. Oder hat die EZB große politische Ambitionen auf ein ökonomisch machbares Maß zusammengestrichen?

Im Euroraum haben die Bürger und Unternehmen bereits Zugang zu digitalen Euro-Zahlungen und Konten. Ein von der EZB direkt ausgegebener digitaler Euro wird diesen gegenüber kaum Wettbewerbsvorteile haben. Es sind vielmehr politische Ziele, welche die EZB antreiben. Und vielleicht auch die Sorge, einen aktuellen Trend zu verpassen. Der digitale Euro soll eine Antwort sein auf i) verstärkten Währungswettbewerb, ii) die Dominanz ausländischer Anbieter im europäischen Zahlungsverkehr und iii) die Auswirkungen der rückläufigen Bargeldnutzung.

Im Wettbewerb mit anderen Währungen wird der digitale Zugang zu Zentralbankgeld für den Euro kaum einen Vorteil darstellen. Entscheidend ist vielmehr die Wertstabilität. Solange bei Ersparnissen in Euro keine oder nur relativ geringe Verluste aus der Kombination von Inflation und Zinsniveau entstehen, besteht wenig Grund für Europäer, ihr Geldvermögen in ausländische digitale Währungen wie Krypto-Dollars der Fed oder in Global Stable Coins wie Facebook-Diems umzuschichten (bisher gibt es beide nicht).

Auch im internationalen Wettbewerb dürfte die Rolle des Euro durch die Ausgabe eines digitalen Euros kaum gestärkt werden. Die Nutzung einer Währung im internationalen Zahlungsverkehr wird hauptsächlich von der Bedeutung der jeweiligen Volkswirtschaft im globalen Handel und der Liquidität und Größe des Finanzmarktes bestimmt sowie von der Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik. Außerdem ist fraglich, ob sich der digitale Euro überhaupt für internationale Zahlungen eignet, wenn die Summe pro Nutzer beschränkt wird.

Ein wichtiges politisches Ziel ist die Souveränität Europas, die durch den digitalen Euro als europäisch kontrolliertes Zahlungssystem gefestigt werden soll. Der Zahlungsverkehr ist eine kritische Infrastruktur, welche in Europa jedoch zunehmend von ausländischen Unternehmen dominiert wird, insbesondere bei Retailzahlungen. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte die Durchsetzung europäischer Gesetze und der Schutz von Zahlungsdaten europäischer Unternehmen und Bürger schwierig werden. Es ist daher zu begrüßen, dass die EZB mit dem digitalen Euro eine europäische Alternative schaffen möchte, die im gesamten Euroraum nutzbar wäre.

Schließlich will die EZB den Bürgern den Zugang zu Zentralbankgeld sichern können, falls Bargeld nicht mehr genutzt würde. Die Argumentation ist jedoch wenig überzeugend. Denn die Mengenbeschränkung pro Bürger zeigt, dass die EZB den digitalen Euro nicht als „sicheren Hafen“ oder als Konkurrenzprodukt zur Bankeinlage einführen möchte. Sie positioniert den digitalen Euro vielmehr als Zahlungslösung, nicht als Wertaufbewahrungsmittel.

Der digitale Euro könnte jedoch die Option auf einen höheren Datenschutz sicherstellen als bei privatwirtschaftlichen elektronischen Zahlungsinstrumenten wie Karten- oder Internetzahlungen. Selbstverständlich wäre ein sehr hoher Datenschutz nur für begrenzte Beträge möglich, ähnlich wie bei Prepaid-Karten, um die Gesetze zur Vermeidung von Geldwäsche und Anti-Terror-Finanzierung einzuhalten. 

Fraglich ist jedoch, wie erfolgreich der digitale Euro im Markt sein wird. Er könnte mangels Nachfrage scheitern. Das Design – soweit bisher umrissen – bietet Nutzern kaum erkennbare Vorteile gegenüber anderen digitalen Bezahloptionen (abgesehen vom evtl. höheren Datenschutz). Zudem wird der Höchstbetrag gedeckelt. Das Einrichten neuer Wallets und das Zahlen mit digitalen Euros dürfte daher eher schleppend laufen. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber Geschäfte (auch online) dazu verpflichten wird, den digitalen Euro auf Wunsch des Kunden anzunehmen. Insgesamt dürfte der digitale Euro, so wie er jetzt diskutiert wird, eher ein Nischenprodukt im unbaren Zahlungsverkehrsmarkt werden.

Ganz anders sähe die Situation aus, wenn die EZB die Mengenbeschränkung jetzt oder später lockern würde. Dann wäre der digitale Euro als Alternative zur Bankeinlage sehr wohl attraktiv. Kleinanleger sind zwar durch die Einlagensicherung geschützt, aber ein zinsloser digitaler Euro könnte sich fürs Sparen lohnen, wenn die Banken immer kleinere Beträge negativ verzinsen. Professionelle Investoren und Unternehmen mit hohen Anlagebeträgen würden neben dem eventuellen Renditevorteil auch die Eigenschaft des digitalen Euros als Zentralbankgeld schätzen, mit dem sie ihr Kontrahentenrisiko minimieren könnten.

Würden die Kunden immer mehr Bankeinlagen abziehen und in digitale Euros tauschen, so käme es im Bankensektor zu Liquiditätsengpässen, welchen die EZB mit dem Ankauf von Bankaktiva wie Wertpapieren oder Krediten begegnen könnte oder mit verstärkter Kreditvergabe an die Banken durch Refinanzierungsgeschäfte. Denkbar wäre dann, dass die Banken auf Dauer nur noch solche Kredite an ihre Kunden vergeben, welche die EZB als Sicherheit für die Bereitstellung von Zentralbankgeld akzeptiert.

Letztendlich würden sich die tatsächlichen Kreditentscheidungen und die Geldschöpfung verlagern – weg vom dezentralen, privatwirtschaftlichen Bankensektor hin zur zentralen, staatlichen Behörde EZB. Private Finanzintermediation würde schleichend abgelöst werden. In diesem Fall würde sich die fundamentale Frage stellen, welche Art von Geld- und Finanzsystem wir in Europa haben wollen. Dies müsste politisch und ökonomisch intensiv diskutiert werden. Es ist eine Frage, die nicht die EZB, sondern demokratisch gewählte Volksvertreter beantworten müssen – nur diese sind dazu legitimiert. Das gegenwärtige Mandat der EZB würde eine solche Transformation des Finanzsystems jedenfalls nicht abdecken.

Bild: Deutsche Bank

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