Erwartete Rendite: zwischen Bewertung und Realität

Erwartete Rendite

Auch wenn am Ende die realisierte Rendite zählt, liefern erwartete Renditen eine grobe Orientierung, wie attraktiv ein Markt bewertet ist und welches langfristige Ertragspotenzial sich daraus ableiten lässt.

In diesem Beitrag erklären wir, was hinter dem Begriff der erwarteten Rendite steckt. Jeder Anleger hat eine eigene Meinung zur künftigen Entwicklung einzelner Aktien. Werden diese Erwartungen in großen Umfragen zusammengefasst, zeigen sich in der Regel prozyklische Muster: In Bullenmärkten rechnen viele mit weiter steigenden, in Bärenmärkten mit fallenden Kursen und damit Renditen. Anleger orientieren sich dabei häufig an der jüngsten Entwicklung und projizieren diese in die Zukunft. Das entspricht den typischen Stimmungsschwankungen an den Märkten, ist aber nicht zielführend. 

Aus akademischer Sicht verhalten sich erwartete Renditen oft gegenläufig zur Marktstimmung, schreibt Antti Ilmanen, leitender Manager des Vermögensverwalters AQR Capital. Denn gerade nach starken Kursanstiegen, also hohen historischen Renditen, wenn Anleger besonders optimistisch sind, sind die künftigen Renditeaussichten besonders schlecht. Der Grund liegt in den hohen Bewertungen, die aus hohen Kursgewinnen resultieren und tendenziell geringere Renditen in Zukunft erwarten lassen. Zwar können kurz- und mittelfristig durchaus anhaltende, prozyklische Renditen realisiert werden. Doch irgendwann hat alles ein Ende.

Schätzung mittels Gewinnrendite

Lange ging die Finanzmarktforschung davon aus, dass erwartete Aktienrenditen im Zeitverlauf konstant sind. Sie wurden aus historischen Renditen abgeleitet, während Schwankungen mit veränderten Wachstumserwartungen erklärt wurden. Heute dominieren Modelle, die von variablen Renditeerwartungen im Zeitablauf ausgehen. Diese können zwar nur grob prognostiziert werden, die Schätzungen sind aber fundiert.

Ein Instrument zur Schätzung erwarteter Renditen ist das von Nobelpreisträger Robert Shiller entwickelte Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio (CAPE). Es stellt vereinfacht gesagt ein inflationsindexiertes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) über 10 Jahre dar. Für den US-Leitindex S&P 500 lag das CAPE zuletzt bei 38. Dieser Wert ist höher, als er in 97 % aller Fälle der Vergangenheit war. Das impliziert entsprechend geringere Renditen für die Zukunft. 

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Eine einfache Schätzung für die zukünftige Rendite ist der Kehrwert des CAPE, also seine Gewinnrendite. Für den S&P 500 beträgt diese 2,6 % (1 geteilt durch 38). Zum Vergleich: Im Februar 2009 lag das CAPE bei nur 14, die erwartete Aktienrendite damit bei hohen 7,1 %. Der folgende Bullenmarkt übertraf diese Prognose sogar noch deutlich. Umgekehrt notierte das CAPE im Dezember 1999 am bisherigen Allzeithoch von 44, was eine niedrige Rendite von 2,3 % erwarten ließ. Die tatsächliche Entwicklung im nachfolgenden Bärenmarkt fiel dann niedriger und sogar deutlich negativ aus.

Sehr grobe Daumenregel

Diese Beispiele zeigen, dass das CAPE lediglich eine grobe Orientierung für das langfristige Renditepotenzial des Aktienmarktes bietet. Insbesondere kurz- und mittelfristig kann die tatsächliche Marktentwicklung deutlich davon abweichen. Zum Beispiel lag das CAPE des S&P 500 im August 2024 bei etwa 35, was einer erwarteten Rendite von 2,9 % entsprach. Tatsächlich legte der S&P 500 seither aber um 14,7 % zu. Und dieser starke Aufwärtstrend ließ die Bewertungen weiter steigen, wodurch die nach dem CAPE-Modell künftig erwartete Rendite noch geringer ausfällt. Das schließt weitere Kursanstiege nicht aus. Aber die Luft dafür wird immer dünner.

Langfristig lagen die mit dem CAPE-Modell geschätzten Renditen aber oft halbwegs korrekt. Antti Ilmanen zufolge erzielten US-Aktien über zehn Jahre eine mittlere reale Jahresrendite von 11 %, wenn das CAPE zu Beginn einen sehr niedrigen Wert in den untersten 20 % seiner historischen Verteilung hatte. Lag das CAPE dagegen zu Beginn unter den höchsten 20 % der historischen Werte, betrug die reale Rendite im Mittel nur 3 % pro Jahr. Je höher die Bewertungen, desto geringer ist also das erwartete Ertragspotenzial.

Kritikpunkte

Ilmanen weist jedoch darauf hin, dass es trotz scheinbar langer Kurshistorie aufgrund der 10-jährigen Betrachtungsintervalle nur wenige wirklich unabhängige Beobachtungen gibt. Die tatsächliche statistische Signifikanz ist deshalb gering. 

Zudem kam es in den 1980er- und 1990er-Jahren zu einem strukturellen Anstieg des CAPE, der erst im Nachhinein erkennbar war. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die aktuell hohen Bewertungen ebenfalls Teil einer strukturellen Verschiebung sind. Mögliche Gründe wären etwa ein dauerhaft höheres Gewinnwachstum durch technologische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz. 

Und schließlich ist zu bedenken, dass die erwartete Rendite aufgrund des Kehrwerts des CAPE unabhängig von den Bewertungen stets positiv ist. Selbst bei einem hypothetischen CAPE von 100 läge diese immer noch bei 1 %. Es existieren auch komplexere Modelle zur Schätzung erwarteter Renditen, etwa unter Einbeziehung von Wachstumserwartungen und Bewertungsanpassungen. Doch häufig nehmen dadurch die Schätzfehler sogar noch zu. 

Weitere Anwendungen

Erwartete Renditen dienen nicht nur der Einschätzung von Investments, sondern auch als Grundlage für finanzwirtschaftliche Kennzahlen. Sie lassen sich etwa als Maß für die Eigenkapitalkosten oder als Abzinsungssatz für künftige Cashflows verwenden. 

Darüber hinaus kann aus erwarteten Renditen die Aktienrisikoprämie berechnet werden, indem man den risikolosen Zins abzieht. Am US-Markt ist das die Rendite von Treasury Bills mit 3-monatiger Laufzeit, die zuletzt bei 4,35 % lag. Bei der weiter oben für den S&P 500 berechneten erwarteten Aktienrendite von 2,6 % ergibt sich daraus eine Risikoprämie von –1,7 %. 

Fazit

In den letzten Jahren war die erfolgreichste Methode, die erwartete Aktienrendite zu ermitteln, der Rückspiegel: Auf hohe Renditen folgten weiter hohe Renditen. Doch früher oder später wird dieser Ansatz scheitern, wenn der Markt ein Hoch erreicht und nach unten dreht. 

Auch im Zeitablauf variable erwartete Renditen, etwas das CAPE-Modell, können – wie gesehen – weit daneben liegen. Sie sind aber dennoch konservativer und beinhalten eine vorausschauende, antizyklische Komponente, die sich langfristig bewährt hat.

Zum Autor

Auf Marko Momentum bringt Dr. Marko Gränitz wissenschaftliche Studien zum Kapitalmarkt in zwei bis drei Sätzen auf den Punkt. Zudem werden ausgewählte Anlagethemen kurz und verständlich zusammengefasst.

Die Kapital Medien GmbH, der Verlag der Finanzzeitschriften AnlegerPlusAnlegerPlus News und AnlegerLand ist eine 100-%-Tochter der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

Foto: © Rilson S. Avelar auf Pixabay

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