Die Schlagzeilen und Bilder aus der ehemaligen britischen Kronkolonie zeigen zunehmend verhärtete Fronten. Während das Politbüro der Volksrepublik China den eisernen Griff in Hongkong mit Knüppel und Tränengas verstärkt, verteidigen die demokratischen Bürgerbewegungen ihre Rechte entschlossen. Unter dem Ausnahmezustand leidet die Wirtschaft inzwischen enorm. Worum geht es bei dem Konflikt eigentlich und wie sind die Perspektiven?
Inhalt
- Einleitung
- Entführung in die Volksrepublik
- Hongkong: Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Mrd. US-Dollar
- Vom Protest zur breiten Pro-Demokratie-Bewegung
- Wirtschaftlich nicht folgenlos
- Risiken und Perspektiven
Einleitung
Vordergründig ist der Auslöser für die zunehmende Eskalation eine von der Volksrepublik gewollte Änderung der Auslieferungsgesetze in Hongkong. Bei der Rückgabe der Kronkolonie Hongkong durch die Briten an China 1997 waren alle Bedenken von den Chinesen zerstreut worden. „Ein Land – zwei Systeme“ lautete das Rezept. Die bürgerlichen Freiheiten wurden den Bewohnern von Hongkong für weitere 50 Jahre vertraglich zugesichert. Erst in den letzten Monaten vor der Machtübergabe waren in Hongkong als zusätzliche Sicherheit Gesetze verabschiedet worden, die Auslieferungen von Bürgern Hongkongs an die Volksrepublik China unmöglich machten.
Entführung in die Volksrepublik
Die Volkschinesen versuchten von Anfang an, dies zu ändern, allerdings ohne Erfolg. 2013 wurde dann ein Kidnapping-Fall publik, bei dem ein Geschäftsmann in Hongkong mit einem Schnell-boot in die Volksrepublik verbracht wurde. Später wurde er in Guangdong zu 16 Jahren Haft verurteilt. 2015 wurden mehrere Mitarbeiter eines Hongkonger Verlags illegal in die Volksrepublik entführt und dort vor Gericht gebracht. Der Verlag war spezialisiert auf Bücher über kommunistische Politiker und deren Verfehlungen wie Korruption und Vetternwirtschaft. Während die Regierung Hongkongs dazu öffentlich schwieg, sorgten die illegalen Praktiken Chinas für einen Aufschrei der Bevölkerung. 2016 räumte die Regierung dann ein, mit der Volksrepublik über eine Auslieferungsprozedur zu verhandeln. Damit begann sich die Protestbewegung zu formieren. Offensichtlich war die Freiheitsliebe der Bevölkerung Hongkongs von den Regierungen Chinas und Hongkongs falsch eingeschätzt worden.
Hongkong: Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Mrd. US-Dollar
Ab Anfang 2017 begann sich die Lage weiter zuzuspitzen, denn mit der Entführung des Milliardärs Xiao, mutmaßlich durch die chinesische Anti-Korruptionsbehörde, begann sich die illegale Entführungspraxis aus Hongkong in die Volksrepublik zu einem internationalen Skandal auszuweiten.
Im Juli 2017 wurde dann Carrie Lam zur Chefadministratorin von Hongkong gewählt. Das noch von den Briten geprägte Wahlsystem Hongkongs sollte vor allem deren Einflussmöglichkeiten bewahren und stand bei den demokratischen Kräften Hongkongs ebenso wie bei den Volkschinesen in der Kritik. Es wurde 2016 geändert, nun besteht der 1.200 Mitglieder umfassende Legislativ-rat überwiegend aus Pro-China-Abgeordneten. Studenten hatten bereits seit den ersten Plänen 2014 dagegen protestiert.
Vom Protest zur breiten Pro-Demokratie-Bewegung
Anfang 2018 ermordete ein junger Mann aus Hongkong sei-ne Freundin bei einer Reise nach Taiwan. Er wurde nach seiner Rückkehr in Hongkong verhaftet, konnte aber für den gestandenen Mord nur in Taiwan vor Gericht gestellt werden. Nach Hongkonger Recht aber gilt Taiwan wie China mit dem gemein-samen Staatsoberhaupt Xi Jinping als zur Volksrepublik China gehörend. Somit war eine Auslieferung unmöglich.
Die auf Pro-China-Linie operierende Chefadministratorin Hongkongs, Carrie Lam, nutzte die Gelegenheit dieses eher unpolitischen Falls, um einen Vorstoß zu wagen und die Bevölkerung Hongkongs für ein neues Auslieferungsgesetz zu gewinnen. Damit gewann die bereits breite Protestbewegung aber neuen Aufwind. Als es im Juni 2019 zu Massenprotesten kam, wurde die zweite Lesung des neuen Gesetzes im Parlament buchstäblich blockiert. Die Krise steuerte auf einen weiteren Höhepunkt zu und schließlich waren mehr als eine Million Hongkonger – bei einer Gesamt-bevölkerung von 7,5 Millionen – auf den Straßen! Am 15. Juni verkündete die Chefadministratorin dann nach Rücksprache mit dem Politbüro in Peking, dass die Gesetzesvorlage eingefroren wird. Inzwischen hatten sich die Proteste in eine Bewegung für demokratische Rechte gewandelt. Der Aufmarsch chinesischen Militärs eskalierte die Lage. Im September zog die Chefadministratorin schließlich das ganze Gesetzesvorhaben zurück. Die Situation beruhigt sich aber nicht, ganz im Gegenteil, und bringt das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen. Schulen sind geschlossen, U-Bahnen fahren nicht, Läden bleiben geschlossen.
Wirtschaftlich nicht folgenlos
Die Wirtschaft Hongkongs befindet sich in einer Rezession. 2019 ist das Bruttoinlands-produkt dort nach Schätzungen des IWF um 1,9 % geschrumpft. 2020 wird mit nur 0,2 % Wachstum gerechnet. Der Hang-Seng-Index der Hongkonger Börse hatte Anfang 2018 bei über 33.000 Punkten sein Hoch. Nach einem Zwischenhoch von 30.000 Punkten im April 2019 gab der Index bis auf 26.000 Punkte weiter nach. Immerhin brachte er es im vergangenen Jahr dennoch auf einen Anstieg von 9,1 %.
Aufgrund der vorteilhaften Situation bei Steuern und Zöllen zieht Hongkong vor allem Japaner, aber auch Chinesen und Koreaner sowie Besucher aus dem Westen an. Hongkong ist beispielsweise der größte Absatzmarkt für Luxusuhren aus der Schweiz. Nicht ohne Grund hielt die Aktie von Swatch 2019 im Schweizer Leitindex SMI die rote Laterne. Viele Besucher bleiben Hongkong nun fern, da Bilder von knüppelnden Polizei-brigaden, Tränengasattacken und vermummten Protestanten verunsichern. Einige der Monoshops von Luxusmarken werden geschlossen bleiben, erste Anbieter ziehen sich zurück.
Risiken und Perspektiven
Die Aussichten für eine friedliche Beilegung des Konflikts scheinen begrenzt. Auf der einen Seite steht die mächtige Volksrepublik mit allen Möglichkeiten der direkten und indirekten Machtausübung. Auf der anderen Seite hat sich eine ungemein breite Protestbewegung positioniert, die von 60 % der Bevölkerung Hongkongs unterstützt wird.
Die demokratischen Kräfte befürchten aus gutem Grund, dass Hongkongs Autonomiestatus und die vertraglich garantierten demokratischen Grundrechte akut gefährdet sind. Andererseits ist China nicht an einer Eskalation gelegen, da die Wirtschaft schon unter den Zöllen der USA leidet. Eine Einigung im Handelsstreit könnte durch weitere Gewaltausbrüche in Hongkong gefährdet werden.
Überraschend wurde daher Anfang Januar ein neuer chinesischer Liaison Officer für Hongkong bestimmt, der die Sonderverwaltungszone nun „auf den richtigen Weg“ bringen soll. Es sollte jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass China zuerst Hongkong und dann Taiwan wieder in die Volksrepublik eingliedern möchte. Hongkong war 1841 während des ersten Opiumkrieges von den Briten besetzt und 1843 zur Kronkolonie erklärt worden. Erweitertes Konfliktpotenzial besteht außerdem darin, dass China und Russland gemeinsame Marinemanöver mit dem Verbündeten Iran angekündigt haben, schon vor der Liquidierung des iranischen Top-Generals Soleimani durch einen US-Angriff.
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