Die Kaufkraftparität ist eines der ältesten Ökonomiekonzepte. Sie ermöglicht die Berechnung des fairen Werts verschiedener Währungen. Zumindest theoretisch in der perfekten Modellwelt. Die Praxis sieht anders aus.
Einige Dinge haben in allen Währungen, umgerechnet in US-Dollar, fast exakt den gleichen Preis. Ein gutes Beispiel sind Goldbarren. Bei vielen anderen Gütern ist das nicht der Fall. Dann wird das Gesetz von „einem Preis“ verletzt, die Kaufkraft je nach Land variiert. Und das teils erheblich, wie der bekannte Big-Mac-Index zeigt, der im Jahr 1986 vom Magazin „The Economist“ ins Leben gerufen wurde.
„Burgernomics“
Im Januar 2023 kostete ein Big Mac in Japan rund 410 Yen und in den USA 5,36 US-Dollar. Das impliziert einen Wechselkurs von 76,5. Tatsächlich lag dieser aber bei 130. Der Yen wäre demnach also etwa 41 % unterbewertet. Der Big-Mac-Index verdeutlicht also eine grundlegende Idee zur Einschätzung der Devisenmärkte. Er ist aber natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen. Niemand würde sich ernsthaft auf eine Burger-Prognose verlassen. Seit 2004 gibt es sogar einen Starbucks-Index, der einen großen Milchkaffee nach dem gleichen Ansatz bewertet.
Deutlich aussagekräftiger sind Güterkörbe, die miteinander verglichen werden. Diese können sich in den einzelnen Ländern jedoch teils deutlich unterscheiden, ein recht komplexes Thema also. Zudem können strukturelle Unterschiede in der Kaufkraft zwischen einzelnen Ländern als permanent angesehen werden.
Deshalb zielt man meist nicht auf die absolute, sondern die relative Kaufkraftparität ab. Diese besagt, dass die Veränderung des Währungskurses in einem bestimmten Zeitraum gerade die Differenz der Inflationsraten zweier miteinander verglichener Länder ausgleicht, indem die Währung mit der höheren Inflation abwertet. Dieses Modell kommt der Realität schon deutlich näher. Die höchste Kaufkraft hatte per 2022 übrigens die Schweiz, gefolgt von den USA, Australien und Deutschland. Die Schlusslichter waren Iran, Venezuela und Nigeria.
So wird die Kaufkraftparität berechnet
Die Kaufkraftparitäten werden offiziell von der OECD veröffentlicht. Dabei erfolgt die Berechnung in drei Stufen, angefangen auf der Produktebene. Hier werden analog zum Big-Mac-Beispiel die Preisrelationen für einzelne Waren und Dienstleistungen ermittelt. Der zweite Schritt ist die Ebene der Produktgruppen, auf der zugehörige Preisrelationen gemittelt werden (gleichgewichtete Kaufkraftparitäten). Der dritte Schritt erfolgt auf den Aggregationsebenen. Hier werden die erfassten Produktgruppen gewichtet und aggregiert, um Paritäten für verschiedene Ebenen bis hin zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu erhalten.
Der zur Berechnung verwendete Warenkorb ist dabei eine Stichprobe aller Waren und Dienstleistungen, die vom BIP erfasst werden. Die komplette Liste umfasst etwa 3.000 Konsumgüter und Dienstleistungen, verschiedene Arten von Ausrüstungsgütern sowie einige Bauprojekte. Der große Umfang soll es den Ländern ermöglichen, Waren und Dienstleistungen zu ermitteln, die für ihre Inlandsausgaben repräsentativ sind. Dabei werden die Daten im Nachgang bis zu drei Jahre nach Veröffentlichung überprüft und angepasst.
Starke Diskrepanzen
Anders als die relativen werden sich die absoluten Unterschiede der Kaufkraft niemals weltweit völlig angleichen. Zum einen kann man viele Produkte nicht arbitrieren. Dazu müsste man im Burger-Beispiel in Japan kaufen und in den USA verkaufen. Für einen Goldbarren funktioniert das, aber für einen verderblichen Big Mac nicht. Noch klarer ist es bei Dienstleistungen wie etwa einem Haarschnitt, die selbstverständlich ortsgebunden sind. Zudem beinhalten die Preise vieler Produkte neben dem eigentlichen Materialwert eine Dienstleistung (Servieren des Burgers) und Mieten (für das Restaurant), deren Preisanteil von den Kosten für Personal und Geschäftsfläche abhängen.
Weiterhin sind nicht alle Güter weltweit identisch, wie es bei einem Big Mac der Fall ist. Auch Transportkosten, Handelsbeschränkungen und unterschiedliche Präferenzen der Kunden spielen eine Rolle, was in der perfekten Modellwelt nicht vorgesehen ist. Vor allem aber sind die Produktivität, das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Arbeitskosten in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich und verändern sich nur sehr langsam.
Der internationale Gütermarkt ist also bei Weitem nicht so effizient wie der Kapitalmarkt. Daraus resultieren teils systematische, teils temporäre Abweichungen von der theoretischen Parität. Trotzdem glauben viele Ökonomen, dass sie einen groben Anker für langfristige, reale Währungskurse darstellen. Zum Beispiel erlebte der Euro zwischen 2001 und 2008 eine längere Phase der Stärke gegenüber dem US-Dollar, in der er von 0,85 auf fast 1,60 stieg. Die anfängliche Unterbewertung von 20 % im Vergleich zur Kaufkraftparität gegenüber dem US-Dollar drehte damals in eine ebenso große Überbewertung. Zuletzt hatte das Pendel wieder in die andere Richtung ausgeschlagen. Laut Russell Investments lagen der Euro, das britische Pfund und der japanische Yen im 4. Quartal 2022 rund 30, 20 bzw. 35 % unterhalb ihrer Kaufkraftparität.
Fazit
Die Kaufkraftparität ist eine grobe Benchmark, um das Niveau von Währungskursen einzuschätzen und mögliche Über- oder Unterbewertungen auszumachen. Obwohl in der Praxis immer wieder deutliche Abweichungen auftreten, besteht ein Konsens, dass sie als langfristige Indikation dienen, zu der sich die Kurse früher oder später hin entwickeln. Allerdings ist angesichts der begrenzten Genauigkeit kaum zu beurteilen, wie groß die Fehlbewertung tatsächlich ist und ab wann Marktversagen vorliegt, das ein Eingreifen erfordert. Es geht dabei auch darum, inwieweit das internationale makroökonomische System von selbst zu einem gewissen Gleichgewichtszustand findet.
Interessant ist die Schlussfolgerung, dass Geldpolitik nur wirksam sein kann, wenn Löhne und Preise nicht völlig flexibel sind, also die Parität nicht erfüllt ist. Denn wäre sie es, würden sich geldpolitische Impulse sofort über die Wechselkurse wieder ausgleichen. Zudem können Veränderungen der externen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes anhand der Kaufkraftparität beurteilt werden. Aus diesem Grund werden sie heute routinemäßig von Regierungen, internationalen Organisationen und Finanzinstituten berechnet. Für die Entwicklung der Währungskurse spielen aber andere Effekte, vor allem Zinsdifferenzen, die entscheidende Rolle.
Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 4/2023.
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Foto: © unsplash.com, Mufid Majnun