Von Robert Peres, Initiative Minderheitsaktionäre
Seit Juli letzten Jahres können Aktiengesellschaften ihre Jahreshauptversammlungen rein virtuell durchführen. Der Gesetzgeber machte dies mit dem „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen“ möglich. Nun nutzen viele Unternehmen diese Gelegenheit – und zahlreiche Aktionärstreffen, bei denen üblicherweise Tausende Menschen zusammenkommen, um über die Dividendenausschüttung, Kapitalmaßnahmen und die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat abzustimmen, finden nur noch im Internet statt. Ist das eigentlich sinnvoll?
Inhalt
- Präsenzversammlungen in der Minderheit
- Beschädigung der Aktionärsdemokratie
- Hybride Lösungen bevorzugt
Wegen der Covid-Pandemie wurde Anfang 2020 eine temporäre Notfallregelung eingeführt, denn Treffen in Präsenz waren nicht machbar. So konnten die 14.000 Aktiengesellschaften in Deutschland trotz Kontaktbeschränkungen ihre Jahrestreffen rechtssicher durchführen. Obwohl fundamentale Aktionärsrechte ausgesetzt wurden, war es doch immerhin den Gesellschaften möglich, wichtige und nicht aufschiebbare Unternehmensentscheidungen zu treffen. Auch die Aktionärsschützer stimmten der Regelung damals widerwillig zu.
Präsenz-Hauptversammlungen im DAX in der Minderheit
Mittlerweile sind die Corona-Einschränkungen aufgehoben worden und Präsenzversammlungen theoretisch wieder möglich. Doch nur eine Minderheit der Gesellschaften macht davon Gebrauch. Dazu gehören Airbus, BASF, Deutsche Telekom, Henkel, Porsche, QIAGEN und Symrise. Die Mehrheit der DAX-Unternehmen – darunter die Allianz, Beiersdorf, BMW, Merck, Mercedes, Siemens und Vonovia – plant, ein rein virtuelles Aktionärstreffen auszurichten. Diejenigen Unternehmen, die sich für die digitale Form der Hauptversammlung entschieden haben, begründen dies mit einer erhöhten Planungssicherheit, besserem Schutz der Gesundheit und Umweltfreundlichkeit.
Neben diesen Effekten wird aus Unternehmenssicht vielfach auf die Kostenersparnis verwiesen. Wenn man aber genau hinsieht, sind die Vorteile für die Unternehmen ganz andere. Sie liegen in der Risikominimierung. Vorstände mögen keine Überraschungen. Präsenzhauptversammlungen sind in der Vergangenheit öfter eskaliert, wenn kontroverse Unternehmensentscheidungen zur Debatte standen, siehe Bayer AG/Monsanto. Eine Demonstration vor der Halle bringt schlechte Presse und Vorstandsmitglieder mögen es nicht, ausgebuht zu werden.
Eine Beschädigung der Aktionärsdemokratie
Aus Sicht der Anleger ist die Abschaffung der Präsenzpflicht allerdings eine Beschädigung der Aktionärsdemokratie. Ursprünglich sollten die Aktionärsrechte laut Koalitionsvertrag in einer virtuellen Form der Hauptversammlung gegenüber der physischen Ausgestaltung gleichwertig sein. Das ist aber nicht der Fall. Zwar sind gegenüber dem Referentenentwurf einige Benachteiligungen der Aktionäre bezüglich des Antrags- und Fragerechts entschärft worden, jedoch steckt oft der Teufel im Detail. Beispiel: Bei der Vorab-Einreichung von Fragen kann das Fragerecht bereits mit der Einladung beschränkt werden. Nicht über die Fragen adressierte Themen können dann auch nicht über das Nachfragerecht eingeführt werden. Bei sogenannten „verspäteten Fragen“ steht es im Ermessen des Vorstands, diese zuzulassen. Das größte Manko ist aber der fehlende kritische Dialog zwischen Unternehmen und Aktionären, der nur bei Präsenzveranstaltungen adäquat umsetzbar ist.
Ebenfalls problematisch ist die technische Umsetzung. Bei den virtuellen Versammlungen sowohl von TUI als auch Siemens Energy gab es massive Störungen und teilweise schwarze Bildschirme. Grundsätzlich gehen Übertragungsfehler zu Lasten der Aktionäre, wenn sie beim Anleger liegen. Insofern lauern Gefahren, wenn beispielsweise die eigene Internetverbindung nicht stabil ist.
Hybride Lösung müsste bevorzugt werden
Bei der Einführung der digitalen Hauptversammlung wurde oft darauf verwiesen, dass sie mehr Teilnehmer erbringen werde, da die Anfahrt zum Tagungsort wegfiele. Doch das ist nicht eingetreten, die Präsenz des stimmberechtigten Kapitals stagniert bei rund 67 % im DAX. Wenn das Ziel ist, mehr Aktionäre zur Teilnahme zu bewegen, müsste man eine hybride Lösung bevorzugen – also die Kombination von Präsenzversammlung mit online zugeschalteten Teilnehmern.
Diese Lösung wird auch von Aktionärsschützern als Alternative zur rein virtuellen Hauptversammlung ins Spiel gebracht. Bei hybriden Hauptversammlungen sehen die Unternehmen derzeit aber zu viel Rechtsunsicherheit, daher hat sich hier noch keine große Gesellschaft herangetraut – und im Gesetz steht dazu auch nichts. Kürzlich wurde im Vereinsrecht explizit die Möglichkeit von hybriden Versammlungen geschaffen, warum geht das nicht bei Aktiengesellschaften? Die Nutzung der rein virtuellen Form ist der Aktienkultur nicht förderlich.
Zum Autor
Robert Peres ist Rechtsanwalt mit Sitz in Berlin und Wiesbaden und Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, die sich für die Stärkung der Aktionärsrechte in Deutschland einsetzt.
Mehr zu Hauptversammlungen finden Sie in unseren Magazinen.
Foto oben: © Siemens AG
Foto unten: © Daniel Biskup