Während sich in der EU bislang mehr als die Hälfte der Mitgliedsländer zur Währungsunion zusammengeschlossen hat, bleibt die politische Union Utopie. Zugleich schlagen Krisen in immer kürzeren Abständen ein und die Staaten reagieren mit dem Verschmelzen von Geld- und Fiskalpolitik.
Im Juni 1998 gegründet sollte die Europäische Zentralbank (EZB) über die gemeinsame Währung von zunächst elf EU-Staaten wachen. 1999 wurde dann der Euro als Buchgeld und 2002 schließlich auch als Bargeld eingeführt. Heute gehören von den 27 EU-Ländern 19 dem Euro-Währungsgebiet an. Vorrangiges Ziel des Eurosystems ist die Preisstabilität. Sie ist definiert als Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) im Euro-Währungsgebiet auf mittlere Sicht von unter, aber nahe 2 % gegenüber dem Vorjahr.
Zins ohne Leitfunktion
Letztendlich steuert die EZB mit ihrem Zentralbankgeld indirekt das Geldangebot, denn es dient den Geschäftsbanken als Geldbasis. Diese verwalten die Sparguthaben oder stellen die Kredite für Unternehmen, private Haushalte und Staat zur Verfügung.
Wichtigstes Instrument der Geldpolitik waren bislang die Leitzinsen. Das sind die Zinsen, zu diesen sich die Banken bei der Notenbank Geld leihen oder anlegen können. Zentral waren ursprünglich die sogenannten Offenmarktgeschäfte, die als Hauptrefinanzierungsgeschäfte wöchentlich oder monatlich längerfristig Liquidität bereitstellen. Dabei vergibt die EZB gegen Hinterlegung von Sicherheiten Kredite an die Geschäftsbanken.
Sinkt nun der Leitzins, reichen ihn die Geschäftsbanken in der Regel an ihre Kunden weiter. Infolgedessen dehnen sich die Nachfrage nach Krediten sowie die Geldmenge aus. Werden schließlich mehr Güter nachgefragt, steigen auch die Preise. Diese vereinfachte Wirkungskette wird Transmissionsmechanismus genannt. Will die Zentralbank Inflation bekämpfen, wird sie hingegen die Leitzinsen erhöhen.
Zudem bietet die EZB auch ständige Fazilitäten, welche die Geschäftsbanken über Nacht nutzen können, an. Die Spitzenrefinanzierungsfazilität dient den Banken dabei als kurzfristiger Überziehungskredit, der am nächsten Tag wieder zurückgezahlt werden muss. Im Rahmen der Einlagefazilität können die Banken andererseits überschüssige Liquidität über Nacht bei der Zentralbank anlegen.
Instrumente der Geldpolitik
Während als Reaktion auf die Finanzkrise die Zinssätze für die Offenmarktgeschäfte auf 0 % und für die Spitzenrefinanzierungsfazilität auf 0,25 % abstürzten, ist der Zinssatz für die Einlagefazilität sogar negativ und beträgt zurzeit −0,5 %.
Somit können sich die Banken zinslos (sogar mit Zinseinnahmen im Rahmen der gezielt längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte) und aufgrund der Vollzuteilung unbegrenzt mit Zentralbankgeld versorgen. Ihr Guthaben bei der EZB wird jedoch negativ verzinst. Damit aber niedrige Einlagen der Geschäftsbanken vom Negativzins verschont bleiben, führte die EZB Freibeträge ein. Die Leitzinsen, die quasi bei null eingefroren sind, haben also weitgehend ihre Leitfunktion verloren. Neue Instrumente waren erforderlich.
Neue geldpolitische Maßnahmen
Die Zeiten, in denen sich die Zentralbank geheimnisumwittert gab, sind inzwischen vorbei. Nicht nur die Sitzungsprotokolle sind nun zugänglich, auch die Kommunikationsstrategie „Forward Guidance“ wird seit 2013 gezielt eingesetzt. Wie effektiv sie sein kann, demonstrierte in der Staatsschuldenkrise bereits 2012 der damalige EZB-Chef Mario Draghi mit seinem Statement „Whithin our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro“. Die Finanzmärkte beruhigten sich daraufhin, sodass der gezielte Ankauf von Anleihen bestimmter Euro-Staaten über das OMT-Programm bisher nicht notwendig war.
Dennoch waren und sind teilweise noch andere Ankaufprogramme aktiv. Im Rahmen von SMP kaufte die EZB ab 2010 Anleihen von besonders betroffenen Euro-Staaten auf. Das Programm wurde aber im Herbst 2012 beendet. Auch die Programme CBPP1 und CBPP2 zum Ankauf von Schuldverschreibungen wurden bereits eingestellt. Das Nachfolgeprogramm CBPP3 ist allerdings noch in Betrieb. Mit einem Umfang von mehr als 2 Billionen Euro ist PSPP das volumenmäßig größte Programm und wird überwiegend von den nationalen Zentralbanken durchgeführt. Sie kaufen – geregelt durch einen Kapitalschlüssel – hauptsächlich öffentliche Anleihen ihres Heimatlandes.
Für Aufmerksamkeit sorgte im Mai 2020 ein Urteil zu PSPP. Es müsse geprüft werden, ob die geldpolitischen Wirkungen in einem angemessenen Verhältnis zu den wirtschaftspolitischen Nebenwirkungen stünden, so das Bundesverfassungsgericht. Zugleich stellte es jedoch klar, dass dieses Urteil keine Auswirkung auf PEPP habe, einem weiteren Anleihekaufprogramm, das aufgrund der Corona-Pandemie einstweilen mit einem Volumen in Höhe von 1,35 Billionen Euro und einer Laufzeit bis Juni 2021 für Nettoankäufe aufgelegt wurde. Außerdem beschloss die EZB mit EUREP eine befristete Fazilität für Zentralbanken außerhalb des Euroraums, falls es aufgrund des Covid-19-Schocks zu Marktstörungen kommen sollte.
Neue Strategien
Für Diskussionen sorgte immer wieder die Definition der Preisstabilität im Rahmen des EZB-Mandats. Um flexibler zu sein, wird u. a. über ein Toleranzband nachgedacht, ähnlich den Bändern, die bereits in Kanada, Australien oder Schweden existieren. Auch die amerikanische Notenbank hat sich jüngst für mehr Toleranz beim Inflationsziel ausgesprochen. Liegt die Inflation zeitweise unter dem angestrebten Wert, kann die Fed somit in den Folgejahren ein Überschreiten dieser Marke ansteuern.
Weiteren Zündstoff bietet außerdem die Art und Weise der Inflationsmessung, insbesondere, dass die Vermögenspreisinflation kaum erfasst wird. Innerhalb der EU werden die Preise mit dem harmonisierten Verbrauchspreisindex (HVPI) vergleichbar gemacht, welcher der EZB als Indikator für die Preisstabilität dient. Im Vergleich zu den nationalen Verbrauchspreisen (VPI) berücksichtigt dieser aktuellere Konsum- und Verbrauchsmuster. Andererseits sind dort die Kosten für das Wohnen in der eigenen Immobilie nicht eingerechnet.
Dazu werden Forderungen laut, die Geldpolitik ökologischer auszurichten. Die EZB ist zwar in erster Linie der Preisstabilität verpflichtet, sie soll aber auch – soweit die Preisstabilität nicht dadurch gefährdet wird – die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Argumentiert wird, dass Projekte, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen, auch der Preisstabilität helfen. Daher sollten die Ankaufprogramme nachhaltige Investitionsobjekte stärker bevorzugen.
Einige Notenbanken prüfen außerdem den Einsatz von digitalem Zentralbankgeld. Die Einführung eines „Eurocoin“ würde die traditionelle Geldschöpfung und die Rolle der Banken grundsätzlich auf den Kopf stellen. Sie könnte jedoch Wegbereiter einer neuen Geldtheorie werden.
Neue Geldtheorie
Und die steht schon in den Startlöchern: Zentrale These der modernen Geldtheorie (MMT, Modern Money Theory) ist es, die Trennung zwischen Geld- und Finanzpolitik aufzuheben. Im Rahmen von MMT wäre der Zinssatz bei null fixiert – was der Realität schon recht nahekommt – und die Inflation würde durch fiskalische Überschüsse oder Defizite reguliert werden. In einer Rezession wären dann die Investitionen direkt von der Zentralbank finanziert.
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