Lambach (pte001/05.05.2020/06:00) – Das Coronavirus hat die Reisebranche zum Erliegen gebracht. Urlaub in bisheriger Form wird es bis auf Weiteres nicht geben. pressetext sprach mit Elisabeth Kneissl-Neumayer, Geschäftsführerin des Reiseveranstalters Kneissl Touristik http://kneissltouristik.at , über die Folgen der Pandemie auf Tourismusbetriebe, verändertes Reiseverhalten, Bewältigungsstrategien der Branche und die Bedeutung eines mögliches Exits. Kneissl-Neumayer wird bei den Europäischen Toleranzgesprächen http://fresach.org am 27. Mai – diesmal online – an der Diskussionsrunde „COVID-19 und die Folgen: Wie die Pandemie den Tourismus verändert“ teilnehmen.
pressetext: „Nichts wird mehr so sein, wie es war.“ Das hören wir derzeit von vielen Menschen. Wie wird Ihr Geschäft bei Kneissl-Touristik nach der Corona-Krise aussehen?
Kneissl-Neumayer: 2020 wird nichts so sein wie bisher. Die Notstandsregelungen werden in einigen Ländern wie Frankreich immer länger, also wird hier kaum an normalen Tourismus zu denken sein. Wir wissen auch noch nicht, wie Hoteltourismus dieses Jahr bei uns oder in Deutschland ausschauen wird – die veröffentlichten Regeln von Mecklenburg-Vorpommern klingen nicht unbedingt nach entspanntem Urlaub. Erst nach einem wirksamen Medikament sowie einer Impfung innerhalb von zwei bis drei Jahren wird es zu einer Zeit der Normalität kommen.
pressetext: Der weltweite Tourismus, die Hotel- und Reisebranche sind von der Pandemie wohl am stärksten betroffen. Wird sich das Reiseverhalten generell verändern? Und wie?
Kneissl-Neumayer: Die Zurückhaltung bei Reisen – vor allem aus nicht abschätzbaren Gesundheitsrisiken – wird ein bis zwei Jahre anhalten. Aber wieso sollte danach die Lust am Reisen gebrochen sein, warum sollte eine Art neues Biedermeier die Leute zu Hause halten? Es gibt klare Gründe, warum man jetzt nicht reisen kann – danach werden unsere Kunden wieder sehr gerne reisen. Viele Kunden wollen eine klarere Abschätzung der Risiken und dann erst reisen. Und so wird es in allen anderen Bereichen sein – Balkonien wird nicht einen Strand oder einen Aktivurlaub oder eine Kreuzfahrt ersetzen können.
pressetext: Kneissl Touristik plant jetzt ein Sommerprogramm für Reisen innerhalb Österreichs. Welchen Stellenwert werden Inlandsreisen künftig einnehmen?
Kneissl-Neumayer: Wir haben – in Ermangelung von Informationen zu einer wieder beginnenden Reisefreiheit – ein Programm für diesen Sommer in Österreich vorgestellt, das klassische historische Studienreisen und Wanderreisen verbindet. Ob der Kunde das schätzt, kann ich nicht sagen, weil es erst seit vergangenen Donnerstag veröffentlicht ist – aber erste Buchungen sind bereits da. Ich schätze, dass zusätzlich zu den Musikreisen, die wir immer in Österreich durchgeführt haben, zwei bis vier Reisen auch in den nächsten Jahren im Programm sein werden.
pressetext: Ganz konkret: Wie wird sich das Abstandsgebot auf die Planung von Reisegruppen auswirken, vor allem was Bus- und Flugreisen angeht? Mit welchen langfristigen Folgen rechnen sie in der Art des Reisens?
Kneissl-Neumayer: Flüge gibt es mittlerweile, hier wird die Maske getragen, ohne Plätze auszulassen. Wir reisen normalerweise mit Gruppen von rund 20 bis 25 Personen – in einem Bus mit 40 bis 50 Sitzplätzen ist sicherlich genug Raum zwischen den Kunden gegeben. Wir verwenden bei Studienreisen Kopfhörer, auch damit muss man nicht „aufeinander kleben“. Die Reisen sind für August und September geplant, in der Zwischenzeit kann sich auch hier noch etwas zum Angenehmeren wenden.
pressetext: Für den Herbst 2020 stehen bei Ihnen trotz Krise Auslandsreisen auf dem Programm. Mit welchen Auflagen und organisatorischen Hürden ist dabei zu rechnen?
Kneissl-Neumayer: Wir haben letztes Jahr im November wie alle Veranstalter Kataloge für das gesamte Jahr 2020 vorgestellt. Niemand weiß, welche Länder sich gut, welche weniger gut entwickeln werden. Ich hoffe, dass eine mögliche beginnende Reisefreiheit zum Beispiel auch Länder wie Israel oder Jordanien berücksichtigt – oder Marokko oder Namibia, die kaum Corona-Infizierte haben beziehungsweise extrem schnell auf die Situation mit einem Lockdown reagiert haben. Genauso in Asien – zum Beispiel Vietnam, Thailand oder Südkorea. Auch Kanada oder Mexiko haben rasch und sinnvoll reagiert. Aber dies wird alles von politischen Entscheidungen hie und dort abhängig sein – bei Reisewarnung Stufe 6 kann ich nicht reisen, auch nicht bei einer notwendigen Quarantäne von 14 Tagen bei Einreise.
pressetext: Sie raten Kunden dazu, geplante Reisen nicht abzusagen, sondern zu verschieben. Welche Zeiträume sind dafür angedacht? Welche Rückmeldungen gibt es?
Kneissl-Neumayer: Unsere Kunden können in den Herbst oder in das nächste Jahr verschieben – sehr viele der Reisen für 2021 sind bereits im Internet angelegt und sichtbar. Innerhalb eines Jahres ist die Hoffnung auf die Entwicklung eines Medikaments eindeutig besser. Der Großteil der Kunden will das Geld zurück, circa zehn Prozent buchen um.
pressetext: Die Corona-Krise hat das Thema „Nachhaltigkeit“ wieder in den Mittelpunkt gerückt. Wie sieht nachhaltiger Tourismus in Zukunft aus? Und was wird anders?
Kneissl-Neumayer: Wir arbeiten seit 2019 mit der Universität für Bodenkultur Wien zum Thema CO2-Kompensation zusammen. Hier wollen wir für 2021 in den neuen Katalogen „Europa“ diese Kompensation inkludieren. Wir unterstützen damit ein Projekt für sauberes Wasser in Uganda. Viel schwieriger ist die Suche nach ökologischen Hotels in Europa für Gruppen – es gibt nette kleine Hostels oder Gästehäuser, aber keine geeigneten größeren Hotels, die „grün“ geführt werden – obwohl Reisen in der Gruppe ökologischer ist als Individualtourismus. Wir sind seit ein paar Jahren beim Roundtable für Menschenrechte im Tourismus – hier geht es unter anderem um Arbeitsbedingungen und Löhne für die Menschen, die im Tourismus weltweit arbeiten. Im Moment müssen wir uns eindeutig mehr Sorgen um das wirtschaftliche Überleben dieser Mitarbeiter im Tourismus machen.
pressetext: Welche Bereiche der Reiseindustrie werden langfristig am meisten leiden, welche Zweige werden diesen Corona-Impact vielleicht gar nicht überleben?
Kneissl-Neumayer: Ich denke, dass jeder Sektor überleben wird – wieso sollten Badeurlauber in Zukunft nur mehr an den Wörthersee fahren? Oder keine Kreuzfahrten mehr unterwegs sein? ich denke, dass minimales Umdenken bei Destinationen beginnen wird, die auch per Bahn gut erreichbar sind. Dass man sich bewusst für eine ökologisch vernünftige Bahnanreise entscheiden wird anstelle eines Kurzstreckenflugs. Aber dazu bedarf es guter Bahnverbindungen. Selbst in Österreich ist eine gute Bahnanbindung von Graz und Klagenfurt und Innsbruck nach Wien nicht gegeben, auch nicht zum Flughafen München. Diese Inlandsflüge werden meiner Ansicht nach als Erstes wegfallen…
pressetext: Wie lauten Ihre Hoffnungen und Wünsche an die Zukunft?
Kneissl-Neumayer: Meine unmittelbaren Wünsche sind ein Fahrplan für erste kleine Öffnungen von Reisefreiheit, Diskussion über insolvenzversicherte Reisegutscheine anstelle von Rückzahlungen, vor allem die politische Wahrnehmung der Bedürfnisse und finanziellen Nöte der Reisebranche – hier gibt es kaum Gespräche. Und es müsste vor allem die EU viel stärker auch die Nöte der Reiseindustrie sehen – wir haben im Gegensatz zu Airlines keine Lobbys. Reisebüros dürften ab 2.5. öffnen – alle haben sich zu einer Öffnung frühestens ab dem 2.6. entschieden. Was sollen wir Kunden sagen, wenn sie etwas buchen wollen – es gibt ja kaum Antworten, ab wann und wie man wieder reisen darf. Der größte Wunsch: Mein Team für Studienreisen so erhalten zu können, wie es jetzt ist – um für unsere Kunden gleich interessante Reisen, die geschätzt werden, entwickeln zu können.
pressetext: Vielen Dank für das Gespräch!
In der laufenden Interview-Serie zu den # ETG20 erschienen bei pressetext:
Psychotherapeut: Jugendkult der Alten am Ende
http://pte.com/news/20200423003
Gute Firmenführung keine „Kommandowirtschaft“
http://pte.com/news/20200416003
Kufeld: Coronavirus zeigt Bedeutung des Reisens
http://pte.com/news/20200401002
Therapeutin Hadinger: Innehalten in Krise ist Chance
http://pte.com/news/20200324001
Ex-Manager: Raubtierkapitalismus hat ausgedient
http://pte.com/news/20200303024
Toleranzgespräche: Klimakrise als Chance nützen
http://pte.com/news/20200214015
Weizsäcker eröffnet Toleranzgespräche 2020
http://pte.com/news/20200131002
(Ende)
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