Von Manfred Schmid, Leiter der Marktsteuerung der Börse München
Wohl kaum jemand hätte im März dieses Jahres, als Russland in die Ukraine einfiel und in Richtung der Hauptstadt Kiew vorstieß, angenommen, dass wir uns noch im Oktober einem heißen Krieg mitten in Europa gegenüber sehen und dass der Aggressor mehr und mehr in Schwierigkeiten steckt. Was heißt das für die Aktienanlage?
Die meisten von uns hatten erwartet, dass der Krieg aufgrund der russischen Übermacht kurz und heftig wird und Putin als Sieger hervorgeht. Inzwischen wird Letzteres von Experten stark bezweifelt. Insofern stellt sich für Investoren die Frage, wie der Krieg und Kriege überhaupt die Börse(n) beeinflussen – wie lange und wie heftig?
Wobei ein Blick in die Geschichte immer nur Anhaltspunkte für die Zukunft, aber keinen exakten Fahrplan vermittelt. Und wobei es zu bedenken gibt, dass wir zwar gebannt in die Ukraine schauen, es weltweit aber eine ganze Reihe weiterer heißer Konfliktherde gibt: Jemen, Kasachstan, Armenien, Afghanistan, Syrien, Mali und die Sahelzone, Libyen, die Liste ist lang und spiegelt sich in steigenden Asylbewerberzahlen wider.
Und nicht zuletzt: Dieser Krieg betrifft uns sehr direkt. Einerseits durch die Sanktionen gegen Russland und andererseits, weil er unser Land und große Teile Europas von wichtigen und bisher für die Industrie lebenswichtigen Energielieferungen abklemmt.
Krieg und Violinen
„Kaufen, während die Kanonen donnern“, gilt dieser Spruch noch? Das Bonmot geht mit einiger Sicherheit auf Kalman Mayer Rothschild, der sich später Carl Mayer von Rothschild nennen sollte, zurück und lautet vollständig „… verkaufen, wenn die Violinen spielen“. Rothschild bezog sich auf die napoleonischen Kriege. Denn sein Bankhaus in London profitierte von dem frühen Wissen, dass Napoleon bei Waterloo durch die vereinten Truppen der Preußen, Engländer und Russen besiegt worden war.
Das Bankhaus deckte sich mit englischen Aktien ein, bevor die frohe Kunde die Runde machte und die Aktien des Siegers stark stiegen. Eigentlich waren die Kanonen also bereits stumm, von Violinen war allerdings auch nicht die Rede. In Zeiten der global verfügbaren Informationen per Internet und Verarbeitung mittels Algorithmen per Hochgeschwindigkeitshandel sind solche Informationsvorsprünge für Privatanleger jedoch irrelevant.
Krieg und Aktien
Doch es gibt moderne Nachfolger Rothschilds. Warren Buffett bekräftigte kriegerische Investments: „Ich würde auch während eines Krieges Aktien kaufen“, betonte die Investmentlegende. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass Kriege und Rezessionen eng miteinanderlaufen – aber nicht wirklich parallel. In den USA, einem Land, das in den vergangenen zwei Jahrhunderten viele Kriege führte, stiegen die Kurse bei einigen, bei anderen fielen sie.
Meist jedoch fielen sie – und da gibt es durchaus Parallelen zur heutigen Situation – weniger aufgrund der Kriege als wegen der Inflation, die Kriege gerne nach sich ziehen. Militärische Auseinandersetzungen schieben die Wirtschaft zwar an, doch das treibt die Preise. Schließlich müssen erst Kriegsgüter produziert und dann Schäden wieder beseitigt, Ruinen aufgebaut werden. Realistisch betrachtet liegen die Chancen, von Kriegen über Aktien zu profitieren, bei 50 zu 50!
Insofern ist es wesentlich wichtiger, sich gegen die Inflation abzusichern, als darauf zu vertrauen, dass Aktien während und nach einem Krieg signifikant steigen. Gegen Inflation schützen aber wiederum Sachwerte – wie Aktien – am besten. Aber gilt dies derzeit auch?
Ein harter Winter
Was ist mit unserem Energieengpass und den deshalb horrend gestiegenen und steigenden Preisen für Gas und Öl? Wenn sich schon unser Bundeswirtschaftsminister einen warmen Winter wünscht – dann wird es sicher bitter kalt. Zumindest haben sich Politiker bisher nicht als Wetterfrösche ausgezeichnet und die Wirkungen von Ölpreis- und Gaspreisdeckel sind umstritten. Immerhin werden wir vorsorglich mit lustigen Energiespartipps versorgt – doch ein Waschlappen statt Duschen bringt unsere Industrie nicht über den Winter.
Eine schleichende Deindustrialisierung spart Energie auf Kosten von Wohlstand und Arbeitsplätzen. Und der Bäcker, der ohne weitere Verluste auf Saisonbetrieb umschalten kann, ist auch noch nicht gefunden. Wir hätten zumindest gerne das ganze Jahr über frische Brötchen, selbst wenn wir sie uns täglich kaum noch leisten können.
Investoren in der Falle
Was also tun als Investor? Bei donnernden Kanonen kaufen und hoffen, dass die Bodenbildung erreicht ist, oder aufgrund der Sorge, dass es noch weiter abwärts gehen könnte, noch schnell alles verkaufen? Besser Cash durch 10 % Inflation verlieren als mehr als 20 % im Depot einbüßen? Horrornachrichten gibt es genug, wenn wir wollen, können wir uns ausschließlich auf sie konzentrieren. Oder bringen wir den Mut und die Chuzpe auf, antizyklisch zu handeln? Lohnt nicht gerade jetzt ein Einstieg in die bösen fossilen Energieunternehmen und Käufe im Sektor der erneuerbaren Energien, denen die Zukunft gehören soll und von denen in der Vergangenheit so viele in Konkurs gegangen sind? Sind Anleihen jetzt die richtige Wahl, wenn die Notenbanken landauf und landab die Zinsen erhöhen? Aber werden angesichts der Gemengelage alle Staaten tatsächlich ihre Zinsen auch bedienen können? Sollen wir uns für Green-Bonds entscheiden, wo wir eine geringere Rendite mit einem besseren Gewissen kompensieren könnten? Sind gar Unternehmens- und Mittelstandsanleihen der Weisheit letzter Schluss, bieten sie doch Zinsen, die einigermaßen mit der Inflation mithalten können? Oder stehen wir vor der nächsten Pleitewelle und letzten Endes mit leeren Händen da?
Investitionen in die Zukunft
Man kann, wie der Bankenverband in seiner Oktober-Konjunkturprognose, für Deutschland (und das gilt für viele andere Länder Europas ebenfalls und vielleicht sogar noch stärker) viele Herausforderungen der kommenden Monate und Jahre aufzählen: „Es besteht ein großer Investitionsbedarf bei der nachhaltigen und digitalen Transformation der Wirtschaft. Hinzu kommen demografische Probleme, die große wirtschaftliche Abhängigkeit von China sowie die Notwendigkeit, grenzüberschreitende Produktions- und Lieferketten neu zu justieren.“
Aber Trost bereiten den Anlegerinnen und Anlegern die Folgerungen daraus: „Um eine längerfristige Schwächephase zu vermeiden, sollten jetzt Anreize und günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die notwendigen Investitionen zu ermöglichen. Hierzu zählen unter anderem beschleunigte Genehmigungs- und Planungsverfahren, eine digitale Verwaltung, eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung sowie die Modernisierung der Infrastruktur.“ Jetzt kommt es nur darauf an, ob die aktuelle Regierung willens und dazu in der Lage ist, dies auch durchzuführen.
Kurzfristig sind wir mit Blick auf unsere Regierenden eher skeptisch, zugegeben. Mittel- und langfristig wird daran jedoch kein Weg vorbeigehen, um unseren Wohlstand zumindest zu erhalten. Das wiederum bietet eine Fülle von Chancen für Aktionäre, die sich trauen, denen jedoch (noch) einiges an Geduld abverlangt wird. Steigende Preise, sinkende Kurse, eigentlich ideal, um einzusteigen oder aufzustocken. Abwarten ist das typische Unentschieden, das uns befällt, wenn wir, siehe oben, nicht wissen, was wir tun sollen. Aber, um es mit dem fränkischen Fußballphilosophen Lothar Matthäus zu sagen: „Wir sollten nicht Sand in den Kopf stecken“! Besser Aktien ins Depot!
Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 10/2022.
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