Versteckte Potenziale in der Bilanz verstehen

Versteckte Potenziale Bilanz

In der Bilanz ausgewiesene aktive latente Steuern sind für Privatanleger oft ein Buch mit sieben Siegeln. Dieser Beitrag erklärt, was hinter dieser Position steckt und warum sie für die Bewertung eines Unternehmens durchaus wichtig ist.  

Beginnen wir mit einer Einordnung der Bilanzposition: Aktive latente Steuern entstehen, wenn ein Unternehmen in der Handelsbilanz Aufwendungen oder Verluste verbucht, die sich erst in späteren Jahren steuerlich auswirken. Solche zeitlichen Differenzen führen zu künftigen Steuerentlastungen, die bereits heute als Vermögenswert auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen werden.

Ein typisches Beispiel sind steuerliche Verlustvorträge: Macht ein Unternehmen in einem Geschäftsjahr einen Verlust, kann es diesen mit Gewinnen in künftigen Jahren verrechnen und so seine Steuerlast senken. Die damit verbundene erwartete Steuerersparnis kann als aktive latente Steuer bilanziert werden.

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Unterschiede je nach Rechnungslegungsstandard

Zwischen der Bilanzierung aktiver latenter Steuern nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) und den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) bestehen wesentliche Unterschiede.

Nach HGB besteht ein Wahlrecht zur Aktivierung: Ein Unternehmen kann selbst entscheiden, ob es künftige steuerliche Entlastungen als aktiven Posten in der Bilanz ausweist oder nicht. Das Fehlen aktiver latenter Steuern in einer HGB-Bilanz bedeutet daher nicht zwingend, dass keine entsprechenden Steuerwirkungen existieren. Möglicherweise wurde lediglich auf eine Aktivierung verzichtet.

Nach den internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) müssen Unternehmen aktive latente Steuern, etwa aus steuerlichen Verlustvorträgen, immer dann in der Bilanz ausweisen, wenn es wahrscheinlich ist, dass die Verluste künftig mit steuerpflichtigen Gewinnen verrechnet werden können. Bestehen ernsthafte Zweifel an einer solchen Verrechnungsmöglichkeit, dürfen die latenten Steueransprüche nicht angesetzt werden.

Diese Regelung soll Anleger davor schützen, dass Steueransprüche bilanziert werden, die sich später nicht realisieren lassen und somit keinen tatsächlichen wirtschaftlichen Wert haben.

Relevant für Privatanleger

Wie das in der Praxis aussieht, zeigt ein typischer Anwendungsfall. Ein Unternehmen erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2023 einen handelsrechtlichen Verlust, der steuerlich zunächst nicht nutzbar war, etwa weil das Steuerrecht strengere Anforderungen an die Verlustanerkennung stellt. Die daraus resultierende künftige Steuerersparnis wurde dennoch bereits 2023, also im Jahr des Verlusts, als aktive latente Steuer in der Bilanz erfasst.

Im Geschäftsjahr 2024 erzielte das Unternehmen dann einen Gewinn. Nun kann der zuvor festgestellte Verlust aus 2023 steuerlich geltend gemacht werden, das heißt, das Unternehmen muss weniger Steuern auf den Gewinn zahlen. Die aktive latente Steuer aus 2023 entfaltet damit ihre wirtschaftliche Wirkung: Sie spiegelt eine tatsächliche Steuerentlastung wider.

Für Privatanleger sind aktive latente Steuern aus mehreren Gründen relevant. Zum einen signalisieren sie künftige Steuerentlastungen, die den zukünftigen Gewinn positiv beeinflussen können. Zum anderen deuten sie häufig auf bestehende Verlustvorträge hin, die in kommenden Jahren steuerlich nutzbar sind. Darüber hinaus sind sie ein Indikator für die Bilanzqualität: Ihre Werthaltigkeit hängt davon ab, ob das Unternehmen in der Lage ist, künftig ausreichend Gewinne zu erzielen, um die angesetzten Steuerentlastungen tatsächlich zu realisieren.

Ein Praxisbeispiel

Die mVISE AG, ein IT-Dienstleister aus Düsseldorf, hat in den letzten Jahren eine umfassende Restrukturierung durchlaufen. Für das Geschäftsjahr 2024 hat das Management entschieden, die aktiven latenten Steuern nicht mehr auszuweisen. Im Geschäftsbericht 2024 findet sich auf Seite 38 dazu die folgende Erläuterung:

„Das von der Gesellschaft in der Vergangenheit genutzte Wahlrecht, die aktiven latenten Steuern nach § 274 Abs.1 Satz 2 HGB in der Bilanz auszuweisen, wurde von den gesetzlichen Vertretern im Konzernjahresabschluss nicht mehr ausgeübt. Durch die Neubesetzung des Vorstandes sowie Umstrukturierungen innerhalb der Gruppe wurde entschieden, die Bilanzierung- und Bewertungsmethode anzupassen. Ein Vergleich mit dem Vorjahr ist daher nur eingeschränkt möglich.“

Fazit: Versteckte Potenziale in der Bilanz verstehen

Für Anleger sind aktive latente Steuern ein stilles, aber wichtiges Signal. Es zeigt an, dass das Unternehmen in der Vergangenheit Verluste gemacht hat. Mit der Aktivierung signalisiert das Unternehmen aber gleichzeitig die Erwartung, diese Verluste durch künftige Gewinne steuerlich nutzen zu können. Ob das dann tatsächlich gelingt, hängt von der weiteren Geschäftsentwicklung ab.

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Foto: © Louis auf Pixabay

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