Anfang September waren die Augen der Welt auf das Reich der Mitte gerichtet. Erst das Treffen der erweiterten Shanghai-Gruppe, dann die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Befreiung von den japanischen Invasoren. Doch die Machtdemonstration kann nicht über die wirtschaftliche Misere in China hinwegtäuschen.
Das Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik China hat sich seit 2007 deutlich abgeschwächt. Ende Juni 2025 lag die jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts „nur“ noch bei 5,2 %. Auf demselben Niveau bewegt sich die offizielle Arbeitslosenquote. Diese Zahl wäre allerdings noch höher, wenn nicht Zwangsurlaub oder kürzere Arbeitszeiten das Bild beschönigen würden. Besonders dramatisch ist die Lage bei jungen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit sprang im Juli 2025 auf 17,8 %.
Die schwächere Beschäftigungslage sowie Lohnkürzungen drücken auf die Kaufkraft der Konsumenten. Entsprechend sind die Einzelhandelsumsätze zuletzt zurückgegangen, während die Inflation auf Jahressicht bei 0 % liegt. Die geringe Zuversicht bei Verbrauchern und Unternehmen hängt mit der seit Jahren ungelösten Immobilienkrise zusammen. Millionen Chinesen hatten zuvor mangels alternativer Anlagemöglichkeiten in Immobilienprojekte investiert. Heute stehen jedoch ganze Wohnblöcke leer, Bauvorhaben bleiben unvollendet oder die Wohnungen lassen sich nicht verkaufen.
Trotz angekündigter Hilfsprogramme konnte die Regierung bislang kaum gegensteuern. Viele Bauträger sind insolvent oder handlungsunfähig, das Immobilienvermögen zahlreicher Anleger ist geschrumpft oder kaum noch zu veräußern. Hinzu kommen weitere Belastungen. Die US-Importzölle dämpfen die Nachfrage nach chinesischen Exportgütern, Geschäftsreisen und Tourismus nehmen ab. Die Schwäche reicht inzwischen so weit, dass selbst Luxushotels begonnen haben, Mittagsgerichte auf der Straße anzubieten, um wenigstens minimale Umsätze zu erzielen.
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Demografischer Wandel
Abgesehen von den makroökonomischen Entwicklung trägt auch der demografische Wandel zur strukturellen Nachfrageschwäche bei. Die Bevölkerung altert rapide, während die Geburtenrate niedrig bleibt. Viele junge Chinesen bevorzugen ein unabhängiges Leben und scheuen die hohen Kosten für Kinderbetreuung, Wohnraum, Bildung und Gesundheit. Jahrzehntelang galt außerdem die Ein-Kind-Politik, später waren zwei, schließlich drei Kinder erlaubt. Heute verteilt der Staat sogar großzügige Zuschüsse an Eltern. Ob diese Anreize wirken, ist offen. Zwar stieg die Zahl der Geburten 2024 deutlich, doch nur von einem sehr niedrigen Niveau aus, nachdem zuvor ein historisches Tief erreicht worden war.
Dieses Muster erinnert stark an Japan vor einigen Jahrzehnten. Parallelen sind der rasche Aufstieg als Exportnation, hohe Handelsbilanzüberschüsse, wachsender Wohlstand und ein überhitzter Immobilienmarkt, dessen Einbruch Japan in eine langanhaltende Deflation stürzte. Abzulesen war diese Entwicklung am japanische Aktienindex Nikkei, der erst 2024 seine Rekordstände von 1989 wieder erreichen konnte.
Auch in China gehen mit zunehmendem Wohlstand die Zahl der Eheschließungen und die Geburtenrate zurück. Dadurch entstehen weniger neue Haushalte, für die gebaut, eingerichtet und ausgestattet werden müsste. Es ist ein regelrechter Schrumpfungsprozess. Jedes Jahr schließen Zehntausende Kindergärten und Schulen, schlicht weil es zu wenige Kinder gibt.
Ähnlich wie in Japan damals verschlechtert sich zudem die Finanzlage des chinesischen Staates rapide. Ende 2024 lag die Staatsverschuldung bei 88,3 % des Bruttoinlandsprodukts, ein Rekordwert. Gleichzeitig stieg das Haushaltsdefizit 2024 auf 6,5 % des BIP.
Botschaften an den Westen
Der sich verschlechternde Zustand von Wirtschaft und Staatsfinanzen steht in starkem Kontrast zur offiziellen Selbstdarstellung. Bei den Militärparaden und beim gemeinsamen Auftritt mit verbündeten Staatschefs Anfang September präsentierte sich Chinas Präsident Xi Jinping selbstbewusst und führte dem Westen sowohl die militärische Stärke Chinas als auch die Breite seiner Allianzen vor Augen. Zur Shanghai-Gruppe gehören neben China, Russland und den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken inzwischen auch Indien, Pakistan und der Iran. Ziel dieser Organisation ist eine engere Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen.
Bei den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Staatschefs wie Wladimir Putin, der nordkoreanische Machthaber und der Junta-Chef von Myanmar bewusst als enge Freunde Chinas inszeniert. Damit wollte Peking ein klares Signal an den Westen senden. Verstärkt wurde diese Botschaft durch markige Aussagen wie „Die große Nation China lässt sich niemals von Rüpeln einschüchtern“ oder „China ist nicht zu stoppen“.
In den Reden Xi Jinpings tauchte zudem immer wieder die Formulierung von der „Verjüngung der chinesischen Nation“ auf. Damit dürfte die Integration oder Annexion der „abtrünnigen Provinz” Taiwan gemeint sein. Historisch betrachtet waren in der Vergangenheit Zeiten wirtschaftlicher Schwäche, Depression oder Deflation oft Anlass für eine Nation „in den Krieg zu ziehen”. Denn patriotische Parolen und die Konstruktion von Feindbildern können die Aufmerksamkeit einer unzufriedenen Bevölkerung von den inneren Problemen ablenken und auf Fragen nationaler Größe und äußerer Bedrohungen lenken.
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