Augenwischerei: die Reform der europäischen Fiskalregeln

Fiskalregeln EU

Von Dr. Jörg König, Stiftung Marktwirtschaft

Die neuen Fiskalregeln werden das Versprechen kaum halten, mehr Flexibilität, Transparenz und Effektivität gleichzeitig zu gewährleisten. Das europäische Schuldenproblem lässt sich so nicht lösen.

Seit April 2024 gelten in der EU neue Fiskalregeln. Sie sollen die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in den Mitgliedstaaten sicherstellen. Solide Staatsfinanzen sind grundsätzlich wichtig, um günstige Refinanzierungsbedingungen zu erzielen und fiskalische Spielräume zu erweitern. 

In einer Währungsunion unabhängiger Fiskalstaaten sind sie zudem Voraussetzung dafür, dass die einheitliche Geldpolitik der Zentralbank nicht von fiskalischen Motiven dominiert und die Staatengemeinschaft nicht in Solidarhaftung genommen wird. Andernfalls drohen hohe Inflation, ein Abwälzen von Schuldenlasten auf die solideren Staaten sowie Fehlanreize, unpopuläre Reformen zu unterlassen und sich in der Krise auf Finanzhilfen zu verlassen.

Weshalb gibt es in der EU neue Fiskalregeln?

Die Fiskalregeln sind seit ihrer Einführung umstritten. Einerseits wird ihre Effektivität bemängelt, was wiederholt zu Zweifeln an der Stabilität der Währungsunion geführt hat. Bereits in den 1990er-Jahren wurde kritisiert, dass die fiskalischen Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrages missachtet wurden und der Euro-Beitritt nicht nur Staaten mit nachhaltiger Finanzpolitik vorbehalten blieb. Ebenso konnte der 1997 vereinbarte Stabilitäts- und Wachstumspakt die Haushaltsdisziplin vieler Staaten nicht gewährleisten.

Den entscheidenden Bruch erfuhr der Pakt 2003 durch die Regelverletzungen Deutschlands und Frankreichs und ihre Weigerung, die Defizitverfahren zu akzeptieren. Der Pakt wurde daraufhin 2005 gesichtswahrend „reformiert“ und infolge der Euro-Staatsschuldenkrise in den 2010er-Jahren vor allem um präventive Regeln ergänzt. Der Erfolg blieb jedoch aus, da die Regeln eher komplexer statt schlagkräftiger wurden und die Kommission bei der Regeldurchsetzung zunehmend diskretionär agierte. 

Die geringen Einhaltungsquoten der am höchsten verschuldeten Staaten belegen die mangelnde Effektivität der Fiskalregeln. Gemäß dem Compliance Tracker des Europäischen Fiskalausschusses halten sich Frankreich und Italien mit durchschnittlich weniger als 30 % am wenigsten an die Regeln, gefolgt von Portugal, Griechenland, Spanien und Belgien. Sanktionen erfolgten aber nie.

Andererseits wurde von den hochverschuldeten Staaten bemängelt, dass die Fiskalregeln zu restriktiv und nicht mehr zeitgemäß seien. Wichtige öffentliche Investitionen würden ausbleiben und das Wirtschaftswachstum gehemmt. Vor allem eine Rückkehr zu den zwischen 2020 und 2023 ausgesetzten Fiskalregeln wurde kritisch gesehen, da dies den hochverschuldeten Staaten ab 2024 eine erhebliche Konsolidierung ihrer Staatsfinanzen abverlangt und den Ausgabenspielraum eingeschränkt hätte. 

Allen voran diese Staaten sowie die Kommission forderten flexiblere Regeln. Dabei entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Kommission davon überzeugt war, mehr Einfluss erhalten zu müssen, obwohl sie es selbst nicht vermocht hatte, als Hüterin der Verträge die Fiskalregeln konsequent durchzusetzen.

IMMER TOP INFORMIERT ...

... mit unserem kostenlosen Newsletter. Melden Sie sich noch heute an - Wir freuen uns auf Sie und halten in unserer Begrüßungsmail ein Rabattangebot für Sie bereit!



    Was bringen die neuen Fiskalregeln?

    Durch die Reform sollen die Regeln einfacher, transparenter und wirkungsvoller werden. Die Grenzen der Defizit- und Schuldenstandsquote von 3 bzw. 60 % des BIP gelten weiterhin, allerdings wird der Pfad zu soliden Staatsfinanzen zwischen den Staaten und der Kommission künftig bilateral ausgehandelt. 

    In nationalen mittelfristigen Fiskalstrukturplänen legen die Staaten einen mindestens vierjährigen Anpassungspfad für ihre Netto-Primärausgaben fest. Anhand von Schuldentragfähigkeitsanalysen und quantitativer Vorgaben überprüft die Kommission die Eignung der nationalen Pläne. Verpflichtet sich ein Staat zu bestimmten Reform- und Investitionsmaßnahmen, kann der länderspezifische Anpassungszeitraum auf sieben Jahre gestreckt werden. Dadurch soll die nationale Eigenverantwortung und Regelbindung gestärkt werden.

    Nicht jede Reform bedeutet jedoch eine Verbesserung. Dies lässt sich am Beispiel Frankreichs illustrieren. Zwar hat Frankreich seit 1974 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorgelegt, wodurch die Schuldenquote von damals 16 auf 110 % im Jahr 2023 gestiegen ist. Jedoch ist der Ende November 2024 von der Kommission bewilligte französische Fiskalstrukturplan Anfang Dezember durch den Sturz der Regierung Barnier bereits veraltet. Auslöser des Misstrauensvotums war ein Streit über den französischen Haushalt. 

    Der angebliche „Sparhaushalt“ sah allerdings vor, die Verschuldung auch in den kommenden Jahren erheblich auszuweiten. Die geplanten 5,0 respektive 4,6 % Haushaltsdefizit in den kommenden beiden Jahren wären nur nicht ganz so hoch ausgefallen wie das diesjährige Defizit von 6,1 %. Das 3-Prozent-Ziel hätte Frankreich gemäß nationalem Plan erst 2029 knapp eingehalten. Die Schuldenquote hätte sich auf 116,5 % erhöht und wäre erst ab dem Jahr 2031 um mehr als 1 % reduziert worden, was für hochverschuldete Staaten verpflichtend ist. Im Jahr 2041 hätte die Schuldenquote immer noch mehr als 100 % betragen, was die Kommission dennoch als Erfolg wertete. Für die versprochenen Reformen und Investitionen hätten mehrheitlich die nächsten und übernächsten Regierungen sorgen müssen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Vereinbarungen über mehrere Wahlzyklen hinaus von neuen Regierungen jeweils neu verhandelt werden. 

    Die schöne Planbarkeit ist somit Augenwischerei. Dass auch Deutschland, das aufgrund seiner Regierungskrise noch keinen nationalen Plan nach Brüssel schickte, bereits erwogen hat, den Abbaupfad ebenfalls auf sieben Jahre zu strecken, erinnert stark an den deutsch-französischen Bruch von 2003 und wäre ein fatales Signal für die Glaubwürdigkeit und Effektivität der neuen Fiskalregeln.

    Zum Autor

    Dr. Jörg König studierte Internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen und promovierte mit einer Arbeit zur Messung europäischer ökonomischer Integration an der Universität Göttingen. Er ist seit 2014 Leiter der Bereiche Europa, Energie, Wettbewerb, Wachstum und Entwicklung der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin und koordiniert die Arbeiten des Kronberger Kreises.

    Die Kapital Medien GmbH, der Verlag der Finanzzeitschriften AnlegerPlusAnlegerPlus News und AnlegerLand ist eine 100-%-Tochter der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

    Foto: © Stiftung Marktwirtschaft

    AnlegerPlus