Von Klaus Wendlandt, Certified Public Accountant (CPA)
Aufgrund des Wirecard-Skandals wurde in Deutschland die bisherige Bilanzpolizei, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e.V. (DPR/ bisherige 1. Stufe der Bilanzkontrolle) abgeschafft. Die Bilanzkontrolle obliegt nun der – eher als träge geltenden – Bundesbehörde BaFin.
Die BaFin, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, war schon bisher subsidiär als 2. Stufe in der Bilanzkontrolle von Nicht-Banken und Nicht-Versicherungen tätig. Sie konnte bislang nur einschreiten (Stufe 2), wenn ein Unternehmen nicht freiwillig an der DPR-Prüfung mitwirkte, nicht einverstanden mit deren Prüfungsergebnis war oder die BaFin erhebliche Zweifel am Ergebnis oder der Durchführung der DPR-Prüfung hatte.
Bisher hatte die DPR sehr ausführlich über ihre Prüfungsschwerpunkte der nächsten Prüfungssaison berichtet und neben den in Europa fest vorgegebenen drei Prüfungsschwerpunkten durch die europäische Wertpapieraufsicht ESMA zwei eigene Prüfungsschwerpunkte beigesteuert. Die BaFin hat nun gerade einmal einen wenig detaillierten eigenen Prüfungsschwerpunkt vorgelegt. Es bleibt daher zu hoffen, dass die intendierte Verbesserung in der inhaltlichen Arbeit tatsächlich eintritt.
Prüfungsschwerpunkte 2022 im Einzelnen
1. Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Einerseits ist dieser Prüfungsschwerpunkt eine Wiederholung des Prüfungsschwerpunkts aus dem Vorjahr, weshalb auch die wesentlichen Unterpunkte nochmals wiederholt werden, andererseits soll auf die längerfristigen wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie auf das Geschäftsmodell des betreffenden Unternehmens eingegangen werden:
Annahmen bezüglich der Unternehmensfortführung („Going concern“)
Hier steht nach Angaben der ESMA einerseits die Liquiditätssituation des Unternehmens im Fokus, also die Fähigkeit des Unternehmens, insbesondere für 12 Monate nach dem Schluss des Wirtschaftsjahrs ausreichend mit Liquidität versorgt zu sein.
Andererseits müssen weitere Aspekte bzw. Zweifel des Unternehmens beleuchtet werden, die einer Unternehmensfortführung entgegenstehen könnten: Beispielhaft nennt hier die ESMA deutlich reduzierte Marktnachfrage nach den Produkten des Unternehmens, Disruptionen in der Lieferkette, völlige Abhängigkeit von temporären öffentlichen Hilfsmaßnahmen und sehr eingeschränkten Zugang zu finanziellen Ressourcen.
Auch wenn derartige Zweifel nicht bestehen, ist dieser Umstand seitens des Unternehmens im Sinne von Transparenz im Anhang zu vermerken und die diese Meinung stützenden Annahmen anzugeben.
Wesentliche Ermessensentscheidungen und Schätzungsunsicherheiten
Auch über die „Going-Concern-Prämisse“ hinaus löst die Pandemie eine Reihe von Unsicherheiten aus, die in Ermessensentscheidungen und Schätzunsicherheiten münden. Über die signifikantesten Ermessensentscheidungen und wesentliche Quellen von Schätzungsunsicherheiten ist im Anhang eines IFRS-Abschlusses zu berichten. Ferner ist auf Sensitivitäten von Buchwerten im Jahresabschluss einzugehen (siehe ebenfalls Punkt 2.), aber auch, ob das Geschäftsmodell als solches durch Corona Schaden genommen hat.
Darstellung der Covid-19-Sachverhalte im Abschluss
Die ESMA warnt vor separater Darstellung von Covid-19-Effekten namentlich in der Gewinn- und Verlustrechnung. Dies vor allem deshalb, weil eine genaue Identifizierung der Effekte von Covid wegen der Breite der Auswirkungen nur sehr schwer möglich sei – vorgeschlagen wird eine Passage im Anhang, in der auf qualitative und eindeutig quantifizierte Effekte eingegangen wird.
IAS 36 Wertminderungen von Vermögenswerten
Die Coronapandemie als solche ist ein starker Hinweis auf ein „Wertminderung auslösendes Ereignis“ (sog. „triggering event“). Es ist also zu prüfen, ob einer oder mehrere Indikatoren für einen Wertminderungstest gegeben sind und dieser durchgeführt wurde. Ein Werthaltigkeitstest des Vorjahres kann angesichts der Pandemie nicht genutzt werden.
Transparente Darstellung zu Umstrukturierungen aufgrund Covid-19
Falls Handelsketten neu strukturiert wurden, soll dies dargestellt werden, was auch die Werthaltigkeit von Finanzinstrumenten betreffen und Angaben nach IFRS 7 auslösen kann.
Zuwendungen der öffentlichen Hand nach IAS 20
Insbesondere Art und Umfang dieser Hilfen sollen nach Ansicht der ESMA beschrieben werden.
2. Klimabezogene Risiken
Grundsatz
Die ESMA weist darauf hin, dass IFRS-Abschlüsse im Rahmen der bisherigen Standards – also auch ohne spezielle Standards für Klimarisiken – diese auch jetzt schon berücksichtigen müssen, soweit die Risiken wesentlich sind.
Kohärenz der Informationen
Insbesondere ist auf Abgestimmtheit der Informationen in Lagebericht, nichtfinanzieller Erklärung und Jahresabschluss sowie sonstiger offizieller Informationen zu achten.
Ein Ort der Angabe klimabezogener Angaben
Die ESMA ermutigt aufgrund der Wichtigkeit der klimabezogenen Angaben für Investoren dazu, die klimabezogenen Angaben an einem Ort – z. B. in einem Abschnitt im Anhang – anzugeben, um eine Streuung über den ganzen Jahresabschluss zu vermeiden.
Auch nach derzeitigen IFRS besteht z. T. schon Berichtspflicht
Eine Berichtspflicht zu klimabezogenen Risiken besteht z. B. nach IAS 1.112 (c). Auch bezüglich Ermessensentscheidungen und Schätzungsunsicherheiten i. S. von IAS 1.122-124 kann eine Berichtspflicht zu Angaben bezüglich Klimathemen bestehen. Auch nach IAS 36 und 37 können sich Impairments oder Rückstellungssachverhalte ergeben.
3. Erwartete Kreditausfälle (ECL-disclosures)
IFRS 9 Finanzinstrumente und IFRS 7 Finanzinstrumente: Angaben
Die Pandemie ist der Praxistest für die nach der letzten Finanzkrise 2009 eingeführten neuen Regeln des IFRS 9 und Angaben nach IFRS 7.
Modelländerungen des ECL
Etwaige Änderungen des ECL-Modells sind unbedingt berichtspflichtig (IFRS 7.35 ff.).
Beschreibung der Auslöser von „Stufentransfers“
Signifikante Änderungen des Kreditrisikos, die zu Stufentransfers der zugrunde liegenden Finanzinstrumente nach IFRS 9 führen, sind zu beschreiben und insbesondere auf die Auslöser einzugehen (Inputs, Annahmen und Schätzverfahren).
Änderungen der Risikovorsorge, Kreditrisiken und Sicherheiten
Zu diesen Themen ist nach Ansicht der ESMA für möglichst hohe Transparenz zu sorgen.
4. Lieferkettenfinanzierung (Reverse Factoring)
„Die BaFin wird in den Konzernabschlüssen 2021 schwerpunktmäßig Lieferkettenfinanzierungen (Reverse Factoring) überprüfen, weil diese Art der Unternehmensfinanzierung immer häufiger eingesetzt wird. Als unmittelbare Konsequenz aus dem Fall Wirecard plant die BaFin zudem, in begründeten Einzelfällen auch zu prüfen, ob angegebene Zahlungsmittel und Vermögenswerte tatsächlich vorhanden sind. Darüber hinaus wird die Aufsicht verstärkt auf nachvollziehbare und nachprüfbare Buchführungsunterlagen achten.
Beim Reverse Factoring handelt es sich um Vereinbarungen, in denen sich Käufer und Verkäufer darauf verständigen, dass die Schuld des Käufers von einem Dritten beglichen wird. Das International Financial Reporting Standards Interpretations Committee hatte hierzu im Dezember 2020 konkretisierende Vorgaben veröffentlicht. Ihr Augenmerk wird die BaFin vor allem darauf richten, wie Reverse-Factoring-Transaktionen in den Bilanzen und den Kapitalflussrechnungen dargestellt werden. Sie wird zudem überprüfen, ob die Unternehmen im Anhang und Lagebericht die erforderlichen Angaben machen.
Hinweis: Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 4/2022.
Foto: © Maurice Kohl