Was bremst die Digitalisierung in Deutschland?

Digitalisierung Deutschland

Von Georg Redekop

Der Forschungsbeirat der Plattform Industrie 4.0 veröffentlichte vor Kurzem eine Auswertung zum Fortschritt der Digitalisierung in den deutschen Industriebetrieben. Der Fokus der Auswertung lag auf den blinden Flecken, also warum zahlreiche Unternehmen die Digitalisierung nicht umsetzen.

Neben den klassischen internen Umsetzungsproblemen wie fehlende Kompetenzen, fehlende Digitalkultur und kein Geld, haben sich überraschenderweise 67 % der Unternehmen bewusst gegen die Digitalisierung entschieden. Als Top-Grund für diese weitreichende Entscheidung wird die fehlende Rentabilität (45 %) angeführt.

Natürlich kondensieren diese Zahlen die Gründe, warum sich die deutschen Industrieunternehmen gegen die Digitalisierung entscheiden, dennoch finde ich es sträflich, solch eine Entscheidung zu treffen, selbst wenn man Marktführer in einer Nische ist. Denn auch diese sogenannten Hidden Champions, täten gut daran, sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen, wenn sie nicht als Werkbank der Digitalkonzerne enden wollen.

Noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen

Persönlich habe ich den Eindruck, dass nach wie vor zahlreiche Unternehmen das Spiel des 21. Jahrhunderts mit den Spielregeln des 20. Jahrhunderts versuchen zu spielen und zu gewinnen. Spielen kann man es zwar so, aber gewinnen wird man es nicht.

Das Geschäftsmodell der deutschen Industrie stammt aus dem 20 Jahrhundert, der industriellen Revolution. Es ist von einer hohen Kapitalbindung und niedrigen Margen geprägt. Das Geschäftsmodell des 21. Jahrhunderts ist hingegen von niedriger Kapitalbindung und hohen Margen geprägt. Das ist das Modell der digitalen Transformation. Letzteres wird möglich, weil die Unternehmen drei Dinge miteinander verbinden: Software, Hardware und Plattform.

Apple zum Beispiel hat ein Betriebssystem (Software) für Smartphones entwickelt. Die selbst designten Smartphones (Hardware) lässt das Unternehmen günstig in Asien fertigen. Anstatt jedoch Tausende von Entwicklern für Apps fest einzustellen, hat das Unternehmen eine Plattform aufgelegt, mit deren Hilfe externe Entwickler aus der ganzen Welt Apps entwickeln, an deren Erlösen Apple über die iOS Plattform verdient. Dasselbe Konzept gilt für alle anderen Apple-Produkte, vom iPod über iTunes bis hin zum Apple TV gleichermaßen.

Vorreiter aus Deutschland

Diese Kombination aus Software, Hardware und Plattform wird von allen führenden Digitalunternehmen genutzt, um neue Märkte zu erschließen und/oder bestehende anzugreifen. Doch selbst in Deutschland existieren Unternehmen, die die Spielregeln des 21. Jahrhunderts verstanden haben und diese erfolgreich anwenden. Zwei deutsche Paradebeispiele sind der Stahlhändler Klöckner & Co und die Fernbusplattform FlixBus.

Nach seiner Rückkehr aus dem Silicon Valley 2014 stieß der damalige CEO Gisbert Rühl die Transformation des Stahlhändlers Klöckner an. Das Unternehmen begann, eine eigene Software zu entwickeln, mit deren Hilfe der Stahlhandel digitalisiert wird. Zuvor war es in der Branche üblich, dass die Bestellungen per Telefon und Fax bei den Händlern eingingen.

Zusätzlich machte sich Klöckner daran, die eigenen Lager abzubauen, um die Kapitalbindung zu reduzieren. Denn das künftige Geschäftsmodell sieht vor, dass das Unternehmen als Vermittler zwischen Kunden und Stahlproduzenten auftritt. Dabei soll so wenig eigene Lagerhaltung betrieben werden wie möglich. Und als dritten Punkt führte Klöckner eine Plattform (XOM Materials) ein, mit deren Hilfe das Unternehmen den eigenen Kundenstamm für andere Händler öffnete. Dadurch muss das Unternehmen nicht jede Art von Stahl selbst vorhalten. Im Gegenzug verdient Klöckner an jeder Transaktion, die über die Plattform abgewickelt wird. Durch dieses Vorgehen setzte der Stahlhändler im vierten Quartal 2021 bereits 46 % seines Umsatzes rein digital um und erwirtschaftete die Hälfte seines Börsenwerts als Reingewinn.

Mobilitätsplattform

Die FlixBus-Story sieht ähnlich aus. Mit der Öffnung des deutschen Fernbusmarktes ergriffen die Gründer von FlixBus die Chance ihres Lebens. Sie entwickelten eine Software, mit der man Bustickets einfach und bequem buchen konnte. Doch anstatt eine eigene Fernbusflotte aufzubauen, wie es der damalige Monopolist Deutsche Bahn tat, verpflichteten die Gründer externe Fernbusunternehmen für ihre Plattform. Durch die zusätzlichen Aufträge konnten die Fernbusunternehmen ihre Fahrzeuge sowie Fahrerinnen und Fahrer besser auslasten. Je mehr Kunden ihre Tickets über FlixBus buchten, desto attraktiver wurde die Plattform für die Fernbusunternehmen. Und je mehr Verbindungen durch neue Fernbusunternehmen dazukamen, desto mehr Kunden zog die Plattform an. Ein sich selbst verstärkender Netzwerkeffekt setzte ein.

Mittlerweile hat FlixBus die Fernbuslegende Greyhound aus den USA übernommen und greift die Deutsche Bahn auf der Schiene an, diesmal mit eigenen Zügen.

Es gibt keinen Grund, sich gegen die Digitalisierung zu entscheiden. Die deutsche Industrie ist der Garant unseres heutigen Wohlstands. Der künftige Wohlstand hängt jedoch davon ab, wie gut unsere Industrie die Spielregeln des 21. Jahrhunderts beherrscht.

Zum Autor

Georg Redekop ist der Vermögens-Ingenieur. Als Speaker, Autor, Investor und Ingenieur denkt, spricht und schreibt er rund um die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist er Teil der Digitalagentur Niedersachsen, die die Politik und Unternehmen in Niedersachsen bei der digitalen Transformation berät und begleitet.

Viele Aktien von deutschen und internationalen Techkonzernen sind zuletzt unter die Räder gekommen, wie beispielhaft die Social Chain AG zeigt.

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