Mit einem Investment in einen Turnaround-Kandidaten konnten Börsianer bei einem glücklichen Händchen bisher gutes Geld verdienen und Altaktionäre zumindest auf Besserung hoffen. Bei vielen Sanierungsfällen kam die Ertragswende häufig immer dann, wenn ein neuer Großaktionär einstieg und u. a. frisches Kapital mitbrachte.
Doch diese Investmentchancen könnten der Vergangenheit angehören. Der Grund: das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, kurz StaRUG. Vor der Einführung des StaRUG war es für sanierungsbedürftige Unternehmen und deren Großaktionäre schwierig, den Streubesitz vor die Tür zu setzen. Mittel zum Zweck war dabei die oft nur sehr aufwendige und teure (Stichwort Beraterkosten) „virtuelle“ Sitzverlegung (sog. COMI-Shift) nach England und die Einleitung eines sogenannten Scheme of Arrangement. Doch nach dem Brexit haben sich die Regierungen der EU-Länder auf Druck der Finanzbranche dazu entschieden, die legale Enteignung der Privatanleger auch ohne diesen Umweg zu ermöglichen.
Als erstes börsennotiertes Unternehmen hierzulande hat die LEONI AG vom StaRUG Gebrauch gemacht und den Streubesitz vor die Tür gesetzt. Die Aktionäre, also die Miteigentümer des angeschlagenen Autozulieferers, wurden von ihren Angestellten, dem Vorstand der AG, dazu nicht einmal gefragt. Das Management hat dies handstreichartig zusammen mit dem größten Aktionär der Gesellschaft entschieden.
Und der Großaktionär reibt sich nun die Hände. Für gerade einmal 50 Mio. Euro Barzahlung erhält er 100 % der Anteile der LEONI AG, die (dank StaRUG) nur noch die Hälfte der Finanzverbindlichkeiten mit sich rumschleppt. Dasselbe in Grün in den Niederlanden: Im Fall Steinhoff International war ein vergleichbares Vorgehen nach dem dortigen WHOA, dem niederländischen Pendant zum StaRUG, zu beobachten.
Es entscheiden also nicht mehr die Eigentümer von vermeintlich sanierungsbedürftigen Unternehmen, ob sie selbst frisches Kapital zuschießen möchten oder das Unternehmen an einen Finanzinvestor verkauft werden soll. Kurioserweise treffen diese Entscheidungen die angestellten Vorstände, die hin und wieder auch mit einem hohen Millionen-Bonus vom neuen Großaktionär „überzeugt“ werden. Und es entscheiden überlastete Gerichte, die häufig nicht über die entsprechende wirtschaftliche Kompetenz verfügen.
Wir Privatanleger müssen künftig die wirtschaftliche Entwicklung unserer Investments also noch genauer anschauen. Sollte ein Unternehmen sich nachhaltig schlecht entwickeln, sollte man das Sitzfleisch möglicherweise nicht mehr überstrapazieren und die Reißleine vorzeitig ziehen. Denn schließlich könnte in den Hinterzimmern die Enteignung und damit der Totalverlust des Investments via Sanierungsverfahren schon eingeleitet werden. Das Aussitzen von Kursverlusten oder das Investieren in sanierungsbedürftige Unternehmen wird noch riskanter. Seien Sie gewarnt!
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