Inflation & Rezession: Ein Unglück kommt selten allein

Harald Rotter

Vor rund einem halben Jahr wollten uns viele Ökonomen weismachen, die Inflation sei nur vorübergehend. Ist sie aber nicht. Vor rund drei Monaten konnte man dann lesen, dass viele Experten nicht von einer Lohn-Preis-Spirale ausgehen. Diese Einschätzung wird ebenfalls danebenliegen. 

Theorie und Praxis von Inflation und Lohnsteigerungen werden auch diesmal zueinanderfinden, wie das Beispiel der IG Metall und Lohnforderungen von 7–8 % zeigen. Immerhin ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer angesichts niedriger Arbeitslosenzahlen und Fachkräftemangel komfortabel. Gleiches kann man von der Arbeitgeberseite nicht behaupten. Man könnte meinen, steigende Verbraucherpreise, wunderbar, das füllt die Kassen der Unternehmen. Doch wir haben es diesmal ja nicht nur mit einer breiten Nachfrageinflation zu tun, ausgelöst durch Konsum, Investitionen und Staatsnachfrage. Sondern aufgrund des Ukrainekriegs, gestörter Lieferketten und der hohen Nachfrage auch mit einer erheblichen Kosteninflation. Im Mai stiegen die gewerblichen Erzeugerpreise (+34 %) so hoch wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949.

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Was die Unternehmen im Verkauf mehr erzielen – wenn sie es schaffen, Preissteigerungen an die Kunden weiterzugeben –, wird bereits in der Herstellung durch massive Kostensteigerungen aufgezehrt. Wenn dazu höhere Löhne kommen, werden die Endkonsumentenpreise nochmals entsprechend erhöht werden müssen. Schon haben wir die Spirale in Gang gesetzt. In der Wirtschaftstheorie setzt nun das Krisenszenario zur Bereinigung des Dilemmas ein. Unternehmen können die Kosten nicht im ausreichenden Ausmaß an die Endkunden weiterreichen, Kosteneinsparungen, Entlassungen und Insolvenzen sind die Folge. Die Endkunden wiederum werden bei weiter steigenden Preisen den Euro zweimal umdrehen. Der Einkaufswagen ist daher weniger gefüllt, aber dafür nicht weniger „wertvoll“. Dass wir schon mittendrin sind in der Spirale, zeigt das Beispiel des US-Einzelhandelskonzerns Walmart. Die Amerikaner erwarten dieses Jahr einen Rückgang ihrer Gewinne aus genau zuvor beschriebenen Gründen, u. a. wegen gestiegener Personalkosten.

Deshalb sollte man sich nicht auf die Einschätzung der EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos Mitte Mai verlassen, dass es zu keiner Rezession im Euroraum komme. Wie (wenig) zutreffend die EZB prognostiziert, konnten wir in der jüngsten Vergangenheit mehrfach beobachten. Die Gemengelage ist aktuell hochexplosiv und wurde durch die expansive Geldpolitik des letzten Jahrzehnts vehement befeuert. Immer wieder warnten Kritiker davor, dass je länger die Liquiditätsflut anhält, die Blase umso größer wird und ein Platzen umso schmerzlicher. 

Und nun entweicht die Luft. Die Zentralbank hat auch aufgrund exogener Ereignisse die Kontrolle über die Preisstabilität verloren – sie hat sowieso eher die Staatsfinanzierung im Blick –, die Modern Monetary Theory ist krachend gescheitert. Jetzt korrigiert der Markt die Fehler der Vergangenheit. Für uns Anleger bedeutet dies schwere Zeiten. Wer kurzfristig orientiert ist, sollte noch vorhandene Gewinne absichern. Wer dagegen langfristig investieren kann, der findet gerade möglicherweise günstige Kaufgelegenheiten (in Raten). Günstiger in jedem Fall als das ein oder andere Produkt beim Einzelhändler Ihrer Wahl.

Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 6/2022. Weiterführende Informationen zum Thema Inflation können hier nachgelesen werden.

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