Kreatives Marktdesign ist gefragt

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Gerade als sich die Welt mit antizyklischer Wirtschaftspolitik gegen die Finanzmarktkrise stemmte, brach über den Euroraum die Staatsschuldenkrise herein. Die EU verschärfte daraufhin ihre regelgebundene Wirtschaftspolitik. Im Zeitalter von Pandemien und Klimakrise richtet sich der Blick nun auf Institutionen und menschliches Verhalten.

Die Insolvenz von Lehman Brothers 2008 brachte die Finanzmärkte in den USA, die in den Jahrzehnten zuvor dereguliert worden waren, in Bedrängnis. Durch die globale Verflechtung wankten bald auch die Finanzinstitute in anderen Ländern.

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Rettungspakete und Rettungsschirme

Um in dieser Situation einen Bankansturm zu verhindern, gaben Staaten entsprechende Garantien. Vielen wird wahrscheinlich noch das Versprechen der Bundeskanzlerin und ihres Finanzministers in Erinnerung sein, dass die deutschen Spareinlagen sicher seien. Das beruhigte zunächst die Lage. Doch einige Institute konnten nur mit Notkrediten in Milliardenhöhe und Verstaatlichung vor der Pleite gerettet werden.

Weltweit taumelte die Wirtschaft in eine Rezession und Konjunkturpakete mussten geschnürt wurden. Die seit der Stagflation in Verruf geratene nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik löste nun die angebotsorientierte ab, deren Ansehen durch die Deregulierung gelitten hatte.

Während die deutsche Regierung es sich „leisten“ konnte, die eigene Wirtschaft mit zwei Konjunkturpaketen in Höhe von rund 80 Mrd. Euro zu stützen, lasteten die Rettungsmaßnahmen auf den Haushalten manch anderer Euroländer allerdings schwer. Und so bahnte sich im Euroraum eine Währungskrise an.

Erneut wurden Rettungsschirme aufgespannt, die später dauerhaft in den Europäischen Stabilitätsmechanismus mündeten. Jedes Euroland, das daraus Hilfen in Anspruch nehmen möchte, muss seitdem den Fiskalpakt, der unter anderem zur Schuldenbremse verpflichtet, ratifiziert haben. Die Wirtschaftspolitik sollte also regelgebundener werden.

Auf dem Weg zur europäischen Fiskalunion

Die wirtschaftspolitischen Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise flossen in die überarbeitete Europa-2020-Strategie ein. Deren Ziel ist es, eine europäische soziale Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu formen. Zugleich wurden Überwachung und Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten forciert.

Angesichts der Coronapandemie bewegt sich die EU derzeit weiter in Richtung europäischer Fiskalunion mit gemeinsamem Budget und gemeinsamer Steuerpolitik. Unter anderem mit Überbrückungshilfen, Steuererleichterungen sowie Kurzarbeitergeld half Deutschland seinen Betrieben durch den Lockdown. Zudem sollen mehr als 130 Mrd. Euro zur Wiederbelebung der Konjunktur eingesetzt werden.

Zusätzlich beschloss die EU mit „Next Generation EU“ ein 750 Mrd. Euro (zu Preisen von 2018) schweres, befristetes Aufbauinstrument für ein Europa, das umweltfreundlicher und digitaler werden soll. Geknüpft ist die Mittelverteilung daraus an nationale Aufbau- und Resilienzpläne. Sie sollen in Form von Zuschüssen und Krediten gefördert werden, um die durch die Pandemie entstandenen Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft zu beheben.

Zur Finanzierung beabsichtigt die Europäische Kommission im Namen der EU, auch Mittel an den Finanzmärkten aufzunehmen. Etwa ein Drittel will sie über Grüne Anleihen einsammeln. Bereits Ende 2020 emittierte die EU im Rahmen des EU-Kurzarbeitergeldes (Sure) Sozialanleihen.

Außerdem haben sich die G20-Staaten im Juli 2021 auf eine globale Mindeststeuer für Unternehmen geeinigt, die vor allem auf profitable, internationale Konzerne abzielt. Zum einen sollen die Besteuerungsrechte neu geordnet werden. Staaten, in denen die Produkte und Dienstleistungen konsumiert werden, erhalten dadurch einen Anteil am Gewinn. Zum anderen ist ein globaler effektiver Steuersatz von mindestens 15 % vorgesehen.

Von Raum & Zeit abhängig

Dennoch stößt die bislang praktizierte Wirtschaftspolitik an Grenzen. Fehlende Schutzausrüstung beispielsweise sowie schnelle Verfügbarkeit von Impfstoffen und damit einhergehende Pandemierestriktionen bis hin zu Lieferkettenproblemen erfordern einen Wandel in der Wirtschaftspolitik.

Weiterhelfen kann ein Blick auf die Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften in jüngerer Zeit. 2012 erhielten z. B. die Spieltheoretiker Roth und Shapley für ihre Arbeiten zum Marktdesign die Auszeichnung. Sie erforschten, wie Akteure am besten zusammenfinden können – u. a. bei Organtransplantationen. Marktdesign baut auf kausale Zusammenhänge zwischen Institutionen, menschlichem Verhalten und Marktergebnissen auf.

Die beiden zuerst genannten beeinflussen sich gegenseitig. Es existieren einerseits formelle Institutionen – wie Verträge oder Gesetze – und andererseits informelle Institutionen, die oft kaum wahrgenommen werden. Sprache, Kultur, Geschlecht oder Ethnie können als Beispiele dafür gelten. Institutionen sind historisch geprägt und können von Ort zu Ort variieren. Die Perspektive, dass Modelle nie allgemeingültig, sondern von Raum und Zeit abhängig sind, wurde bereits von der Historischen Schule eingenommen. Ihre Betonung lag auf der Empirie. Dank der Digitalisierung ist die Ökonomie ohnehin wieder empirischer geworden.

Ein neues Design

Die Institutionenökonomik ist eine äußerst heterogene Denkschule, wobei die neue Institutionenökonomik neoklassisch geprägt ist. Charakteristisch ist aber, dass sie Institutionen nicht einfach als gegeben annimmt. Zudem besitzt sie Schnittstellen zur Soziologie, Psychologie und Politik.

Im Vordergrund steht der praktische Nutzen, etwa für institutionelles Design. Warum nicht die Verteilung rarer medizinischer Güter über eine transparente Clearingstelle – auch mittels einer Art Kunstwährung als Knappheitssignal – koordinieren? Beispielsweise könnten dann Beatmungsgeräte oder Impfstoffe länderübergreifend dahin geliefert werden, wo diese am nötigsten gebraucht werden. Denn der übliche Preismechanismus stößt mitunter an seine Grenzen. Auch Korruption wäre damit nicht mehr so einfach. Und eines hat die Pandemie gezeigt: Krisenvorsorge wird auf den „normalen“ Märkten nicht immer gemäß ihres Wertes für die Gesellschaft gewährleistet.

Übrigens stehen schon länger die Gesetzesmäßigkeiten von Energiemärkten im Fokus der Institutionenökonomik. Der europäische Emissionshandel, der zur Umsetzung des internationalen Klimaschutzabkommens von Kyoto eingeführt wurde, ist das bekannteste Beispiel. Er wurde schon 2005 eingeführt. Allerdings noch ohne richtigen Biss, denn zahlreiche Branchen wurden ausgenommen und Zertifikate kostenlos zugeteilt.

Foto: © Macrostore – istockphoto.com

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