Das Thema „Rohstoffhandel“ hat sein Schattendasein verlassen, welches es hierzulande lange Zeit führte. Mittlerweile verfolgen viele Anleger diesen Sektor ebenso aufmerksam wie die gängigen Anlageklassen.
Seit die US-Technologiebörse NASDAQ im Jahre 1983 eine vollwertige elektronische Handelsmöglichkeit einführte, entwickelte sich das computergestützte Trading nach und nach zur vorrangigen Handelsform, zunächst im Aktienbereich, später über weitere Anlageklassen hinweg.
Mittlerweile dominiert die algorithmusgesteuerte, weitestgehend automatisierte Handelsform vollkommen. Am Rohstoffhandel ging diese Entwicklung ebenfalls nicht vorbei. Da es hier aber um physische Güter geht, die gefördert, geerntet, gelagert und bewegt werden müssen, findet der Handel abseits der Spekulanten in diesem Marktsegment auch heute noch zu einem Gutteil „traditionell“, per Telefon und außerhalb der Börsen, statt.
Große Deals an den Börsen vorbei
Weltweit existieren derzeit rund 100 Rohstoffbörsen, von denen aber nur etwa 20 tatsächlich von Bedeutung sind. Ursprünglich gedacht als Instrument, um Produzenten wie Konsumenten eine größere Planungssicherheit zu geben, reicht ihre Bedeutung heute weit darüber hinaus. Fonds, Investmentbanken, Handelshäuser, Produzenten und Private nutzen die Börsen heute ganz selbstverständlich, um von der Volatilität der Rohstoffmärkte zu profitieren, sei es durch Spekulation, zu Absicherungszwecken oder zur Optimierung ihres physischen Portfolios.
Abgesehen von der Gruppe der Commercials, zu denen beispielsweise Produzenten und Verarbeiter zählen, haben diese aber allesamt keinerlei Interesse am unterliegenden physischen Gut. Das ist jedoch kein Hindernis. Im Gegenteil, die durch sie zusätzlich gespendete Liquidität bietet Vorteile für alle.
Sämtliche bedeutenden Rohstoffe lassen sich über standardisierte Kontrakte an den Börsen kaufen und verkaufen. Professionelle Trader sowie eben jene Gruppe der Commercials schließen ihre originären Geschäfte jedoch nur zu einem Teil an den Börsen ab. Die bis vor Kurzem noch sehr beeindruckenden Bilder des Rohstoffpräsenzhandels an der amerikanischen CBOT wirkten selbstverständlich spektakulär. Nicht minder beeindruckend stellen sich jedoch oft auch die außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung stattfindenden Deals dar, wenn man ihnen denn einmal gewahr wird.
Bedenkt man den nicht selten heiklen Charakter dieser Geschäfte, das Thema „Sanktionen“ ist auch derzeit wieder aktuell, wird klar, warum der ein oder andere Marktteilnehmer ungern im Rampenlicht einer transparenten Börse agiert. Rohstoffe finden immer ihren Weg vom Produzenten zum Verbraucher. Das war schon während des iranischen Ölembargos Anfang der 1980er-Jahre der Fall und ist heute in Bezug auf Russland nicht anders.
Commodities sind individuell …
Anders als bei Aktien und anderen Wertpapieren handelt es sich hier um die „reale Wirtschaft“, um physische Güter. Dabei lässt sich grundsätzlich nicht alles virtuell erledigen. Bei der Preisfindung, Finanzierung und Lieferung von Gold, Kupfer, Erdgas, Rohöl, Kohle und diversem anderen, was unter diese Kategorie fällt, treten spezialisierte Rohstoffhandelsunternehmen auf den Plan. Deren Namen sind Branchenfremden in der Regel vollkommen unbekannt. Die vier größten Unternehmen bewegen jedoch allein jährlich rund 800 Mrd. US-Dollar an Gegenwert durch die Welt. Betrachtet man die gesamte Industrie inklusive der zur physischen Seite noch hinzu kommenden Derivate, dann liegt dieser Wert leicht bei einigen Billionen US-Dollar.
Gerade im Handel mit physischen Gütern ist der persönliche Kontakt besonders wichtig, zu Handelspartnern und Brokern. Auch deshalb, weil Rohstofftrades selten zu standardisieren sind wie beispielsweise ein Aktienkauf. Dazu haben Abnehmer oftmals sehr individuelle Bedürfnisse, die sich mit einem vereinheitlichten Börsenfuture überhaupt nicht abbilden lassen.
… und sehr vielfältig
Wenn zum Beispiel über das Thema Erdöl gesprochen wird, sind meistens die Sorten Brent oder WTI gemeint. Dabei handelt es sich lediglich um zwei Beispiele für Blends, also Mischungen verschiedener Ölsorten. Ihre Preise bezeichnet man als Referenzölpreise, an denen sich Marktteilnehmer besonders gut orientieren können. Sie dienen als Basis zum Pricing für andere Sorten und sind an den internationalen Futuresbörsen sehr liquide handelbar.
Dabei besteht Brent aus einer Mischung der Nordseeölsorten Brent, Forties, Osberg und Ekofisk. WTI (West Texas Intermediate) beinhaltet Erdöl, welches aus Texas, Louisiana und North Dakota stammt. Und wie bei Naturprodukten üblich, ist Erdöl sehr viel vielfältiger. Allein im US-Bundesstaat Texas unterscheidet man 36 Sorten nach Dichte und Schwefelgehalt. Betrachtet man die gesamte USA, kommt man schon auf gut 140 Ölsorten, die sich auch preislich enorm unterscheiden. Die Vielzahl der weltweiten Förderstellen bringt nahezu unzählige Qualitäten zutage mit ebenso großer Preisvielfalt. Zwei Futures helfen hier nicht weiter.
Eher mäßige Regulierung
Besonders während Perioden kräftiger Preisbewegungen wird immer wieder der Ruf nach mehr Regulierung laut, auch um den Einfluss der reinen Finanzakteure einzuschränken. Insbesondere die gesellschaftlich und politisch besonders bedeutsamen Agrar- und Energiemärkte stehen hier regelmäßig im Fokus.
Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung und Ahndung möglicher Marktmanipulationen und anderer Regelverstöße einzelner Akteure, sondern auch um die Prävention gesamtwirtschaftlicher Risiken. Schließlich sind Rohstoffdeals weitestgehend kreditfinanziert. Wankt ein nur mittelgroßes Handelshaus, besteht ein hohes Risiko, dass die Bank dahinter ebenfalls in schweres Fahrwasser gerät. Der ein oder andere wird sich noch an eine bis zuletzt gut beleumundete Institution namens „Lehman“ erinnern, ihr wurden platzende Kredite zum Verhängnis.
Dabei ist es für Börsen und deren Clearingstellen relativ leicht, Kontroll- und Steuerungsmechanismen einzuziehen. Im physischen, außerbörslichen Handel gestaltet sich dies jedoch ungleich schwieriger. Ergänzend kommt hinzu, dass Rohstoffunternehmen aufgrund der globalen Ressourcenverteilung nicht selten in Gebieten agieren, die „lupenreine“ Geschäfte eher zur Ausnahme werden lassen: politisch unsichere Jurisdiktionen, korrupte Behörden, unplanbare Machtwechsel, gelegentliche Enteignungen dort operierender Unternehmen etc.
Der Rohstoffsektor unterscheidet sich enorm von den „klassischen“ Anlageklassen, und ein Gutteil der Faszination dafür geht sicher auch von eben diesem etwas „halbseiden“ anmutenden Charakter aus.
Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 3/2023.
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