Prof. Marc Chesney
Die jüngsten Skandale bei der Credit Suisse erlauben, die Too-big-to-fail-Problematik im Allgemeinen näher zu betrachten. Es handelt sich um eine neue Episode der permanenten Krise der Finanzcasinowirtschaft.
Das Muster wiederholt sich, komplexe, riskante und teils sogar dubiose Geschäfte zwischen Großbanken und gewissen Hedgefunds, mit folgenden Charakteristika: Leverage (Schulden) und Derivate (Wetten) werden eingesetzt, um die Rendite zu vergrößern und zu beschleunigen, oft Verbriefungen, groteske Entlohnungen und nicht zu vergessen eine gewisse Arroganz von Leuten, die überzeugt sind, dass sie einfach smarter als die anderen sind.
Für die Großbanken, die Nutznießer einer Staatsgarantie sind, gibt es immer wieder Anreize, auf Kosten des Steuerzahlers Risiken einzugehen. Denn wenn die Lage auch noch so aussichtlos erscheint, am Ende des Tages werden die Zentralbank und der Steuerzahler doch versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Apropos, das Hauptprinzip des Liberalismus ist sehr einfach: Diejenigen, die Risiken eingegangen sind, sollen diese auch tragen. Die Großbanken predigen Liberalismus, aber praktizieren ihn nicht!
Die Entlohnung des Managements ist dagegen grotesk. Brady Dougan, ein ehemaliger CEO der Credit Suisse (CS), hat in ca. acht Jahren ungefähr 160 Mio. Schweizer Franken verdient. Der Kurs der CS-Aktie ist während derselben Periode um ca. 70 % gesunken. Sein Nachfolger Tidjane Thiam hat ca. 64 Mio. Schweizer Franken in 4,5 Jahren erhalten, der Aktienkurs ist in dieser Zeit um 40 % gefallen … anscheinend gibt es hier falsche Anreize. Das Management hat möglicherweise Verkaufs-Optionen anstelle von Kauf-Optionen erhalten?
Unter der Ägide des derzeitigen CEO, Thomas Gottstein, ist der CS-Kurs zwischen Februar und April 2020 um ca. 30 % zurückgegangen. Er hat angekündigt, dass er auf seine leistungsbezogene Vergütung von 2 Mio. Schweizer Franken verzichtet, aber den Rest seines ursprünglichen Gehaltes, wahrscheinlich ca. 4–6 Mio. Schweizer Franken, im Prinzip behalten wird. Der vor Kurzem ausgeschiedene Präsident des CS-Verwaltungsrats Urs Rohner hat zwischen 2011 und 2021 mehr als 40 Mio. Schweizer Franken kassiert und der Aktienkurs ist in dieser Zeit um ca. 70 % gefallen.
Eine Too-big-to-fail-Bank sollte nicht nur das Recht haben, von einer Staatsgarantie zu profitieren, sondern auch Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler tragen und Pflichten nachkommen. Da der Steuerzahler für die Risiken haftet, sollte er zumindest wissen, was diese Risiken sind. Das ist heute leider nicht der Fall. Die Verpflichtungen und die Transaktionen einer Großbank sind sehr undurchsichtig, eine Art Blackbox. Das führt zum Thema Mikrosteuer.
Die Idee ist es, Sand ins Getriebe der Finanzcasinowirtschaft zu streuen. Das Volumen von elektronischen Finanztransaktionen ist riesig: ca. 150-mal das Schweizer BIP, ca. 100.000 Mrd. Schweizer Franken pro Jahr. Eine Mikrosteuer von z. B. 0,1 % auf dieses riesige Steuersubstrat würde folglich 100 Mrd. Schweizer Franken pro Jahr an Steuern erzeugen. Mehr als genug, um die MwSt. und die direkte Schweizer Bundessteuer abzuschaffen und all diejenigen, die wegen Covid-19 finanziell leiden, zu unterstützen, ohne dafür weitere Schulden zu machen. In Zeiten der Digitalisierung ist es kontraproduktiv, Arbeit und Konsum so stark zu besteuern. Viel effizienter ist es, die Transaktionen zu besteuern.
Das Volumen von Derivaten ist gigantisch und erzeugt viele elektronische Transaktionen. Gemäß der wöchentlichen Statistik der SIX-Gruppe entsprachen z. B. Ende Oktober 2020 die offenen Equity-Derivate für die Schweiz ca. 26.000-mal dem BIP des Landes! Diese Finanzwetten sind gefährlich. Die Mikrosteuer ist ein Ausweg aus der Finanzcasinowirtschaft. Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter: https://mikrosteuer.ch.
Zum Autor
Marc Chesney ist Professor für Mathematical Finance. Seine Forschungsthemen sind insbesondere Finanzinstabilität und Systemrisiken. Er ist Autor zahlreicher Artikel in den Medien sowie in wissenschaftlichen Zeitschriften und ist Autor des Buches Die permanente Krise, Versus Verlag 2019.
Bild: © Universität Zürich