Warum Markt-Timing so schwierig ist

Timing

Eine alte Börsenweisheit besagt, dass „Time in the Market“ bessere Renditen ermöglicht als „Timing the Market“. Man sollte sein Geld also langfristig arbeiten lassen, statt auf die besten Gelegenheiten zu warten. Warum ist das so?

Unter Finanzexperten herrscht Konsens, dass ein dauerhaft erfolgreiches Timing des Aktienmarkts sehr schwierig bis unmöglich ist. Schon der US-amerikanische Finanzier Bernard Baruch sagte einst, nur Lügner könnten am Tief kaufen und am Hoch verkaufen. Wissenschaftler sind ohnehin schon lange skeptisch, was systematische Outperformance durch Timing angeht. Doch einige Privatanleger sehen das anders. Sie träumen davon, genau am Tief des Marktes einzusteigen, um den maximalen Gewinn herauszuholen. Nehmen wir einmal an, das wäre möglich. Wie würden die Renditen aussehen?

Überraschendes Ergebnis

Der Artikel „How to Perfectly Time the Market“ des Personal Finance Club rechnet das Ganze für den S&P 500 bzw. einen fiktiven, darauf basierten ETF für den Zeitraum von 1984 bis 2023 vor. Dabei wird unterstellt, dass jeden Monat 200 US-Dollar vom Einkommen gespart bzw. investiert werden, über 40 Jahre also 96.000 US-Dollar. Drei Szenarien werden unterschieden:

  1. Ganz schlechtes Timing: Das Gesparte wird zu 3 % Zinsen pro Jahr am Geldmarkt geparkt, bis der S&P 500 ein Allzeithoch erreicht. Dann wird es investiert. Trotz des denkbar ungünstigen Timings ergibt das ein erstaunliches Endvermögen von 735.985 US-Dollar.
  2. Bestmögliches Timing: Das Gesparte wird am Geldmarkt geparkt, bis der S&P 500 eines seiner großen Tiefs (1987, 1990, 2002, 2009, 2020, 2022) erreicht. Dort wird es investiert. Das Endvermögen liegt mit 1.101.330 US-Dollar etwa 50 % höher als im ersten Szenario.
  3. Fortlaufende Anlage: Das Geld wird jeden Monat sofort investiert, egal wo der Markt steht. Das Endvermögen ist mit 1.234.403 US-Dollar noch höher als im zweiten Szenario.

Das Ergebnis verblüfft. Wie kann es sein, dass ein Sparplan besser abschneidet, als exakt an jedem der großen Tiefs zu investieren? Der Grund liegt im teils sehr langen Warten auf die perfekten Zeitpunkte. In der Zwischenzeit stieg der Markt meist weiter. Deshalb lag das spätere Tief, sogar wenn es optimal abgepasst wurde, mitunter viel höher als frühere Hochs. Selbst wenn ein optimales Timing der großen Tiefpunkte tatsächlich möglich wäre, könnten Anleger damit also Gefahr laufen, schlechter als der Markt abzuschneiden.

Den Anschluss verpasst

Nach dem Einbruch im Jahr 1990 lag das Hoch im S&P 500 bei rund 370 Punkten. Das folgende Tief des Dotcom-Crashs im Jahr 2002 war aber doppelt so hoch (siehe Grafik). Dividenden kommen noch dazu. Man verpasste also zwölf Jahre am Aktienmarkt, in denen wie angenommen nur mickrige Zinsen erwirtschaftet wurden. Eine andere Rückrechnung von Charles Schwab bestätigt die Ergebnisse („Does Market Timing Work?“). Dort werden alle rollierenden 20-Jahres-Zeiträume seit 1926 analysiert. Dabei schnitt eine sofortige Anlage verfügbarer Mittel durchweg gut ab und lag auch in schlechten Börsenphasen nie an letzter Stelle der untersuchten Szenarien.

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    In der realen Welt wird es noch schwieriger. Denn wir wissen im Vorfeld nicht, wann ein großes Tief auftritt. Der Beginn neuer Aufwärtstrends ist aber häufig durch schnelle und starke Kursanstiege geprägt, sodass Anleger den richtigen Moment leicht verpassen und dann einen Timing-Nachteil erzielen. Oder schlimmer: Wer verkauft und es nicht schafft, notfalls auf höherem Kursniveau in den Markt zurückzukehren, könnte dauerhaft den Anschluss verlieren. Einige warten bis heute auf den „richtigen Zeitpunkt“. Man sollte also auch in Krisenzeiten möglichst die Nerven (und seine Aktienfonds) behalten.

    Psychologische Faktoren

    Zudem ist es gar nicht so leicht, nahe eines Bärenmarkt-Tiefs in den Markt einzusteigen. Zwar hat Warren Buffett recht damit, „gierig zu sein, wenn andere Angst haben“. Doch das Problem ist die Umsetzung. Der US-Finanzautor Morgan Housel schreibt, dass es schwer ist, in Crashs zu kaufen, weil das Umfeld die eigene Psyche negativ beeinflusst. Kursverluste lassen sich zwar modellieren, doch das Gefühl eines Bärenmarktes bleibt abstrakt, bis er selbst erlebt wird. Viele stellen sich die Welt in diesem Szenario wie heute vor, nur mit günstigeren Aktien. Doch was, wenn die Wirtschaft abstürzt, der eigene Job auf dem Spiel steht und eine Hausrate drückt? Stellen Sie sich vor, dass dann plötzlich die Hälfte der Investments verpufft. Das klingt kaum nach einer attraktiven Einstiegschance. Ob gutes Timing überhaupt umsetzbar ist, hängt also stark von den Umständen der jeweiligen Zeit ab.

    Dabei sein ist alles

    Am Ende schneiden viele Anleger, die sich beim Timing versuchen, schlechter ab als der Markt. Dabei ist die ganze Aufregung gar nicht notwendig. Denn mit Sparplänen gibt es eine einfache und langfristig bewährte Methode für erfolgreiches Investieren.

    Der Vorteil dieser fortlaufenden Anlage erklärt sich auch mit der Aktienrisikoprämie. Diese stellt den positiven Erwartungswert einer diversifizierten Anlage dar. Statistisch betrachtet steigt jeden Tag, den man wartet, die Wahrscheinlichkeit, etwas zu verpassen. Deshalb ist der beste Zeitpunkt zur Anlage eines verfügbaren Geldbetrags: so schnell wie möglich. Dafür braucht es keine Prognosen zur künftigen Kursentwicklung. Nach einer Weile verblassen die heute viel diskutierten Höhen und Tiefen ohnehin. Selbst schlechtes Timing ist langfristig oft besser, als überhaupt nicht investiert zu sein.

    Zum Autor

    Auf Marko Momentum bringt Dr. Marko Gränitz wissenschaftliche Studien zum Kapitalmarkt in zwei bis drei Sätzen auf den Punkt. Zudem werden ausgewählte Anlagethemen kurz und verständlich zusammengefasst.

    Die Kapital Medien GmbH, der Verlag der Finanzzeitschriften AnlegerPlusAnlegerPlus News und AnlegerLand ist eine 100-%-Tochter der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V.

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