Immer wieder lässt sich bei einzelnen Aktien ein Muster von schnellen Anstiegen (Boom) und starken Rückgängen (Bust) beobachten. Gibt es eine rationale Erklärung für diese Kursmuster?
Vor 43 Jahren zeigte Professor Robert Shiller in seiner berühmten Studie, dass die Kurse im Zeitablauf viel stärker schwanken, als angesichts der Veränderungen der Dividenden gerechtfertigt wäre („Do Stock Prices Move Too Much to be Justified by Subsequent Changes in Dividends?“). Die Märkte scheinen also fortlaufend zu überreagieren, sich ineffizient zu verhalten. Doch es gibt rationale Erklärungen hierfür.
Bewertung von Unternehmen
Zunächst schauen wir uns den Ansatz an, den der Vermögensverwalter Robeco in der Studie „The Big Book of Trends & Thematic Investing“ vorstellt. Demnach setzt sich der Marktwert der Unternehmen aus zwei Komponenten zusammen, dem dauerhaften Wert des aktuellen Zustands (Steady State) und dem zukünftig erwarteten Wertzuwachs.
Gemäß dem Steady State erzielen bestehende Unternehmensstrukturen einen bestimmten Umsatz, Cashflow und Gewinn. Rechnerisch lassen sich diese Werte unter sonst gleichbleibenden Bedingungen für die Zukunft fortschreiben. Für die Bewertung eignet sich ein Multiple, das dem Kehrwert der Eigenkapitalkosten entspricht. Diese lassen sich zwar nicht direkt beobachten, aber schätzen. Robeco rechnet mit 8 %. Als Kehrwert ergibt sich ein Vielfaches von 12,5.
Die wichtigste Stellschraube ist aber die zweite Komponente, der künftige Wertzuwachs. Dieser bemisst sich vor allem an der Differenz von Kapitalkosten und im Unternehmen erzielter Investitionsrendite. Wachstum schafft also nur dann einen positiven Wert, wenn Investitionsrenditen oberhalb der Kapitalkosten liegen. Relevant dafür ist die Kennzahl „Return On Incremental Invested Capital“ (ROIIC). Sie beschreibt, welche Rendite das Unternehmen mit jedem zusätzlichen Dollar an Investitionen aktuell und in Zukunft erzielen kann.
Ein Musterbeispiel
Letztlich hängt also ein Großteil der Bewertung von Unternehmen an zwei Größen, die sich in der Praxis nur grob schätzen lassen, den Kapitalkosten und der Grenzrendite der Investitionen. Doch manchmal spielen die Zukunftserwartungen eine noch größere Rolle, beispielsweise bei hoch bewerteten Wachstumstiteln, die am häufigsten ein Muster von Boom & Bust ausbilden. Das lässt sich anhand eines vereinfachten Beispiels zeigen, bei dem ein Discounted-Cashflow-Modell verwendet wird, in das erwartete Zahlungsströme, Kapitalkosten und Wachstumsraten eingehen.
Angenommen, ein Unternehmen erzielt einen freien Cashflow von 10 Euro je Aktie. Ausgehend von den bisherigen Zuwachsraten wird für die nächsten fünf Jahre mit einem Wachstum von jeweils 10 % gerechnet. Die aus Eigen- und Fremdkapital gewichteten Kapitalkosten werden auf 12 % geschätzt (Diskontsatz). Über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus ist keine geeignete Prognose möglich. Daher wird dafür ein Zuwachs in Höhe des allgemeinen Wirtschaftswachstums von 2,5 % jährlich angenommen.
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Für die nächsten fünf Jahre ergeben sich demnach absolute Cashflows von 67,16 Euro (11 Euro im Jahr 1 bis 16,11 Euro im Jahr 5) und abgezinst von 47,38 Euro (9,82 im Jahr 1, bis 9,14 Euro im Jahr 5.). Hinzu kommt der hochgerechnete Endwert für die Zeitperiode nach den fünf Jahren, der 174 Euro entspricht und sich abgezinst auf 88 Euro beläuft. Insgesamt ergibt sich somit ein Modellwert von rund 135,50 Euro.
Dominierende Erwartungen
Wie stark sich die Erwartungen über die Zukunft nun auswirken können, zeigen folgende Anpassungen des Szenarios:
- Positiv: Ein dauerhaft doppelt so hohes erwartetes Cashflow-Wachstum führt zu einem modellierten Aktienkurs von 198 Euro, entsprechend einem Kursanstieg um 46 %.
- Negativ: Dauerhaft konstante Cashflows von 10 Euro je Aktie (kein Wachstum) führen zu einem modellierten Aktienkurs von 91 Euro, entsprechend einem Kursverlust von 33 %.
- Negativ: Um 50 % höhere Kapitalkosten führen (bei Cashflows wie im Ausgangsszenario) zu einem modellierten Aktienkurs von 80 Euro, entsprechend einem Kursverlust von 41 %.
Wenn man davon ausgeht, dass die Erwartungen an das künftige Wachstum der Cashflows noch deutlich stärker zunehmen können als im ersten Fall, sind zumindest auf dem Papier schnell Kursgewinne von mehreren Hundert Prozent zu rechtfertigen. Gleichzeitig zeigen das zweite und dritte Szenario das Abwärtspotenzial. Bei einem ausreichenden Rückgang der Cashflows wären auch Kursverluste von 70, 80 oder 90 % zu erklären.
Sowohl Boom als auch Bust lassen sich also rational begründen. In jedem Fall bleiben die getroffenen Annahmen jedoch grobe Schätzungen, die keineswegs eintreten müssen. Außerdem ist natürlich unsicher, welches Szenario überhaupt eintritt.
Fazit
Boom- & Bust-Szenarien bei Aktien sind so alt wie die Märkte selbst. Solange die Zukunftserwartungen der entscheidende Einfluss auf die Preisbildung von Aktien ist, wird das beschriebene Muster wohl immer wieder auftreten. Wir können also nie wirklich wissen, ob Aktien gerade fair bewertet sind. Wahrscheinlich sind sie es in den meisten Fällen nicht. Sicher wissen wir das aber immer erst im Nachhinein, wenn für die früheren Erwartungen die endgültigen Zahlen auf dem Tisch liegen.
Zum Autor
Auf Marko Momentum bringt Dr. Marko Gränitz wissenschaftliche Studien zum Kapitalmarkt in zwei bis drei Sätzen auf den Punkt. Zudem werden ausgewählte Anlagethemen kurz und verständlich zusammengefasst.
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