Die virtuelle HV – ein Zukunftsmodell?

Mann der vor einem Laptop sitzt und Notizen macht

Christof Schwab, Director Business Development, und Ingo Wolfarth, Key Account Manager und Senior Consultant, Computershare Deutschland

Am 13. März 2020 fand wegen der Coronapandemie die MVV-Hauptversammlung als letzte größere Präsenz-HV mit erheblichen Infektionsschutzmaßnahmen statt. Der Gesetzgeber handelte daraufhin schnell und verabschiedete bereits am 27. März das Covid-19-Gesetz.

Bis heute wurden auf der Basis des Covid-19-Gesetzes über 100 virtuelle Hauptversammlungen ohne nennenswerte Zwischenfälle abgehalten. Aktionärsportale haben bei der Gestaltung der virtuellen Hauptversammlung eine zentrale Bedeutung. Über diese können Fragen eingereicht, Widerspruch erklärt und die Übertragung der Fragenbeantwortung mitverfolgt werden.

Eine erste Analyse

Die bisherigen Auswertungen ergaben, dass die Anzahl der Fragen kaum von der bei Präsenz-Hauptversammlungen der Vorjahre abwichen. Die Dauer der virtuellen Hauptversammlungen ist deutlich kürzer als die der Präsenz-Hauptversammlungen. Der Wegfall von Redebeiträgen und Nachfragen sowie kürzere Reden des Versammlungsleiters und des Vorstands führten dazu, dass die virtuellen Versammlungen nach zwei bis sechs Stunden beendet waren. Bei einzelnen Gesellschaften dauerte die Versammlung im Vergleich zum Vorjahr nur die Hälfte der Zeit.

Bisher nutzten fast alle Emittenten die Möglichkeit, eine Frist für die Voreinreichung der Fragen zu setzen. Es wurden in der HV weitgehend alle Fragen beantwortet, lediglich bei Doppelungen zusammengefasst. Vereinzelt verzichteten Gesellschaften auf die Frist für die Frageneinreichung und ließen neue Fragen auch während der Hauptversammlung zu.

Dem von einigen Aktionären geäußerten Wunsch, dass die Vorstands- und Aufsichtsratsreden vorab veröffentlicht werden sollten, entsprachen zu Beginn nur wenige Gesellschaften. Man wolle so aktuell wie möglich die Reden unter den sich derzeit schnell verändernden Rahmenbedingungen noch anpassen können, lautete vereinzelt die Begründung hierfür. Doch eine Trendwende ist erkennbar: Redemanuskripte oder Kernthesen-Dokumente werden mittlerweile häufiger bereitgestellt, verbunden mit dem Hinweis „Das gesprochene Wort gilt“.

Für Unmut sorgt die vielfach von Gesellschaften genutzte verkürzte Einberufungsfrist für die virtuelle HV. Diese führte für die Aktionäre oft zu Problemen bei der fristgerechten Anmeldung.

Das durch die Covid-19-Gesetzgebung stark eingeschränkte Antragsrecht wurde von den Gesellschaften unterschiedlich behandelt. Ein Teil ließ die Anträge gar nicht zu, der andere veröffentlichte diese und berücksichtigte sie als „gestellt“, sofern der Antragsteller ordnungsgemäß angemeldet war. Bei letzterer Lösung ermöglichten einige Emittenten die Weisungserteilung, andere hingegen nicht.

Vor dem Hintergrund des Wissens, dass diese Anträge nicht zur Abstimmung gelangen, könnte dies den Anschein von Pseudo-Aktionärsfreundlichkeit erwecken. Würde man diese Anträge auch als gestellt betrachten, wenn sie eine Chance auf eine Abstimmung oder gar Mehrheit hätten? Vermutlich wird die Saison 2020 u. a. auch mit Blick auf das Antragsrecht die mit den meisten Widersprüchen zur Beschlussfassung sein.

2021 – zurück in die Vergangenheit?

Die Gestaltung der virtuellen Hauptversammlungen wurde in vielen Gesellschaften intensiv diskutiert. Die Kommunikations- und Marketingabteilungen regten an, multimediale Möglichkeiten umfassender zu nutzen, die Rechts- und Investor-Relations-Abteilungen tendierten eher zu klassischen Formaten.

Bisher kann man feststellen, dass der Inhalt und nicht der multimediale Event im Fokus standen. Positiv hervorzuheben sind die wenigen Gesellschaften, die Videobeiträge der Aktionärsvertreter wie auch wichtiger Aktionäre vor der Fragenbeantwortung übertrugen. 

Die Gesellschaften finden zunehmend Gefallen an dem neuen Format. Die virtuelle HV auf der Basis der Covid-19-Gesetzgebung erleichtert für die Emittenten die Planbarkeit sowie die Fragebeantwortung und gewährt darüber hinaus eine weitgehende Rechtssicherheit.

Es bleibt nun abzuwarten, wie das Covid-19-Risiko Ende des Jahres beurteilt wird. Ohne Impfstoff ist aus unserer Sicht die Verlängerung der befristeten Covid-19-Gesetze für die Saison 2021 nicht auszuschließen.

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