Mittelständische Unternehmen – oft in Familienbesitz – gelten als Herzkammer der deutschen Wirtschaft. Den Schritt an die Börse wagen jedoch nur wenige dieser Unternehmen. Dabei bietet der Kapitalmarkt dem Mittelstand nicht nur finanzielle Vorteile, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten für Wachstum, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.
Aktuell sind 632 deutsche Werte an der Frankfurter Börse notiert. Vor einigen Jahren waren das noch deutlich mehr. Viele, auch prominente Unternehmen haben der Börse den Rücken gekehrt, oft aufgrund von Übernahmen.Möglicherweise trifft es bald sogar das DAX-Unternehmen Covestro. Der Spezialchemiekonzern könnte schon bald komplett in arabischer Hand sein.
Die Anzahl der Börsenneulinge kann mit den vielen Abgängen nicht Schritt halten. Gerade einmal vier deutsche Unternehmen kamen 2024 an die Frankfurter Börse. Zwei davon, Douglas und RENK, sind alte Bekannte auf dem Parkett, die zuvor, nachdem sie vollständig im Besitz von Private-Equity-Investoren waren, von der Börse genommen wurden. Bei PentixaPharm handelt es sich um ein sogenanntes Spin-off, eine Abspaltung des börsennotierten Medizintechnikunternehmens Eckert & Ziegler. Damit betrat lediglich der Verlag Springer Nature mit seinem Börsengang Neuland. Das allerdings nach langem Anlauf – bereits 2018 gab es konkrete Börsenpläne.
Als klassischer Mittelständler geht Springer Nature jedoch nicht durch. Mehrheitlich ist das Unternehmen nach wie vor in Besitz des Großverlags Holtzbrinck. Zweiter Großaktionär ist der Finanzinvestor BC Partners. Nach dem IPO befinden sich bislang nur gut 13 % der Anteile im Streubesitz.
Die Verlagsgruppe Bastei Lübbe, deren größte Aktionärin noch immer die Schwiegertochter des Gründers ist, hat bereits 2013 den Schritt an die Börse gewagt. „Einerseits eröffnet uns der Kapitalmarkt vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten, die wir als ‚privates‘ Unternehmen nicht hätten. Andererseits profitieren wir von der deutlich höheren Sichtbarkeit“, fasst CFO Mathis Gerkensmeyer die Vorteile des Börsengangs zusammen. Zudem hätten nun auch Autoren, Mitarbeiter und andere Interessenten die Möglichkeit, über ein Aktieninvestment am Unternehmenserfolg teilzuhaben. Seit dem IPO drückt sich dieser in immerhin 38 % Kurswachstum aus.
Die Wahl des richtigen Segments
Die genannten Börsengänge fanden alle im vergleichsweise streng regulierten Börsensegment Prime Standard statt. Für kleinere mittelständische Unternehmen hat die Frankfurter Börse das Freiverkehrssegment Scale geschaffen. Hier gelten weniger strenge Regularien, was mit geringeren Kosten für die Börsennotierung verbunden ist. „Scale ist ein registrierter KMU-Wachstumsmarkt mit EU-weit harmonisierten Anforderungen, ergänzt um börsenspezifische Standards, die speziell an den Bedarf von kleinen und mittelgroßen Unternehmen anknüpfen und den Einstieg in den börslichen Kapitalmarkt ermöglichen“, erklärt Stefan Maassen, Leiter Capital Markets & Corporates bei der Deutsche Börse AG. „Es bietet Zugang zu nationalen und internationalen Investoren und eine effiziente Möglichkeit der Eigenkapitalfinanzierung. Scale ist Teil des Freiverkehrs (Open Market) an der Frankfurter Wertpapierbörse. Es gelten also angemessene, aber auch geringere Einbeziehungsvoraussetzungen und Folgepflichten als im EU-regulierten Markt.“ Mit Pre-IPO-Workshops, einem Kapitalmarktpartnernetzwerk, Veranstaltungen und themenspezifische Medien unterstütze die Deutsche Börse Wachstumsunternehmen beim Börsengang.
Allerdings verzeichnete das Scale-Segment 2024 keinen einzigen deutschen Neuzugang. Immerhin der österreichische Zulieferer Steyr Motors aus dem Portfolio des Münchner Private-Equity-Investors Mutares debütierte nach einer Privatplatzierung am 30. Oktober im Scale-Segment. Deutsche-Börse-Manager Maassen würde sich generell von Mittelständlern mehr Offenheit für die Börse wünschen. Eine Notierung an der Börse verschaffe Sichtbarkeit und den Zugang zu einer breiten Investorenbasis. Unternehmen profitierten zudem vom fairen, transparenten und überwachten Handel. „Wir haben in Deutschland mit unseren ‚Hidden Champions‘ sehr viele Unternehmen, die großes Interesse bei Investoren wecken könnten. Ein Börsengang setzt Kapital frei, das Unternehmen investieren und so einen Kreislauf an Innovations- und Wachstumsfinanzierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa in Schwung setzen.“
Regional oder international?
Die Frankfurter Börse ist aber nicht die einzige Option, die deutsche Unternehmen haben, wenn sie an die Börse wollen. Mittelständler können für den Börsengang auch eine deutsche Regionalbörse wählen. Die Börse München beispielsweise hat mit dem m:access ein kostengünstiges Freiverkehrssegment geschaffen. Rund 60 Unternehmen sind dort derzeit gelistet. Zuletzt entschied sich der Elektroautoanbieter ELARIS im März 2024 für ein IPO im m:access. Der Aktienkurs des Importeurs kam allerdings unter anderem aufgrund der Strafzölle für chinesische Autos stark unter die Räder.
Etwas freundlicher sieht da schon die Kursentwicklung beim seit 2017 im m:access notierten IT-Dienstleister audius aus, der die Vorteile der Börsennotierung aktiv für sich nutzt: „Transparenz und Sicherheit für unsere Kunden und Mitarbeitenden verbunden mit der Möglichkeit, sich kurzfristig Eigenkapital für Innovationen, Akquisitionen und Auf- und Ausbau von Geschäftsfeldern beschaffen zu können“, führt Vorstandsmitglied Wolfgang Wagner an. „Dadurch lassen sich unsere Wachstumsstrategie besser verfolgen und unsere Ziele schneller erreichen.“
Manche Unternehmen zieht es aber auch ins Ausland. Die Unternehmen BioNTech und Birkenstock beispielsweise entschieden sich für ein IPO in den USA, weil sie sich dort größere Aufmerksamkeit von Investoren und eine bessere Bewertung erhofften. „Entscheidend für die Attraktivität des Kapitalmarktes ist auch, dass ausreichend privates Kapital mobilisiert wird, hier sind insbesondere die richtigen steuerlichen Rahmenbedingungen für die Investitionen in Aktien wichtig und nötig“, führt Maassen aus. „Da haben wir in Deutschland noch sehr viel Potenzial, welches heute nicht ausgeschöpft wird.“
Auch Dr. Marc Feiler, Geschäftsführer der Börse München, sieht in Deutschland strukturelle Probleme. Das Umfeld für Börsengänge sei derzeit insgesamt ausgesprochen schwierig. „Insbesondere fehlt auch leider noch der politische Rückenwind – da sind andere Länder in Sachen kapitalgedeckter Altersvorsorge, etwa über Aktienfonds, oder auch mit steuerlichen Anreizen für Investoren in börsennotierte Unternehmen bereits wesentlich weiter.“
Voraussetzungen für den Börsenerfolg
Um den Gang an die Börse vollziehen zu können, müssen Unternehmen verschiedene Auflagen erfüllen und Gebühren entrichten. Für den m:access werden beispielsweise einmalig 5.000 Euro fällig. Hinzu kommen laufende Kosten zwischen 3.500 und 7.500 Euro jährlich, abhängig von der Marktkapitalisierung. Aus Sicht der Unternehmen hält sich die Kostenbelastung damit im Rahmen. Etwas teurer ist ein Listing an der Frankfurter Wertpapierbörse. Im Scale-Segment müssen beim Börsengang zwischen 20.000 und 89.000 Euro entrichtet werden. Danach beträgt die Listinggebühr 3.250 Euro pro Quartal.
Die Notierung in diesen Börsensegmenten bringt zudem laufende Verpflichtungen mit sich. „Die mit dem Listing einhergehenden Pflichten wie laufende Listinggebühren, Veröffentlichung von News, Durchführung von Hauptversammlungen und das Schreiben und Veröffentlichen von Geschäftsberichten werden von unserem sehr gut aufgestellten administrativen Bereich organisiert und umgesetzt“, erklärt Melanie Ilg, Investor-Relations-Mitarbeiterin bei audius. „Durch die breite Aufstellung der audius und die passende Auswahl von Dienstleistern können die Kosten auf einem für einen Mittelständler akzeptablen Niveau gehalten werden.“
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Das lohnt sich natürlich nur, wenn das Unternehmen ausreichend Investoren anlocken kann. Der Grundstein dafür wird bereits im Vorfeld des Börsengangs gelegt. Wie das gelingt, weiß Axel Mühlhaus, Managing Partner der IR- und Kommunikationsagentur edicto GmbH: „Der Kern der Equity Story sollte frühzeitig vermittelt werden. Zunächst müssen die zentralen Botschaften definiert werden. Anschließend werden verschiedene Kommunikationsinstrumente genutzt, um sie zu verbreiten: Pressemitteilungen, Interviews in den Medien und redaktionelle Artikel.“
Mittelstand: erfolgreiches Wachstum mit der Börse
Für manche Unternehmen ist der Freiverkehr ein Sprungbrett in den regulierten Markt, der noch mehr Aufmerksamkeit bei Investoren verspricht. Im November wechselte zum Beispiel das Biotechnologieunternehmen Formycon vom Segment Scale in den Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse. „Mit einer Marktkapitalisierung von etwa 870 Mio. Euro hat das Unternehmen eine Phase und Reife erreicht, die vor allem das Interesse internationaler und institutioneller Investoren verstärkt geweckt hat“, erläutert Formycon-CEO Enno Spillner in der Unternehmensmitteilung den Schritt. „Um dieser Interessengruppe und auch unseren bestehenden Aktionärinnen und Aktionären einen noch besseren Zugang zur Formycon-Aktie zu ermöglichen, war der Schritt in den Prime Standard zu wechseln unerlässlich.“ Damit eröffne sich gleichzeitig die Möglichkeit, perspektivisch in einen Auswahlindex aufgenommen zu werden.
Diese Vorteile sieht nach natürlich auch ein Small-Cap wie audius, der im Hinblick auf die Marktkapitalisierung mit gut 60 Mio. Euro (noch) in einer anderen Liga spielt. Allerdings, „solange wir noch im Mittelstand als Small Cap unterwegs sind, bringt uns eine Listung im regulierten Markt keinen wirklichen Mehrwert, sondern lediglich Mehraufwand und -kosten“, sagt audius-Vorstand Wagner. „Dieses Geld sparen wir uns im Moment lieber und investieren es in Wachstum.“
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