Die von einer Bank in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Wertpapierkredits verwendete Klausel, „die Bank ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelationen Depotwerte zu veräußern“, ist einem Gerichtsurteil zufolge unwirksam.
Zu dem Urteil kam der 5. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in seiner mittlerweile rechtskräftigen Entscheidung vom 15.9.2022 (Az.: 5 U 132/22). Der Kläger hatte bei der comdirect ein Wertpapierdepot. Die Parteien schlossen im Dezember 2017 einen Wertpapierkreditvertrag mit einem Kreditrahmen in Höhe von 100.000 Euro sowie eine Vereinbarung über die Verpfändung von Guthaben und Wertpapierdepots. Dort war u.a. folgende Klausel enthalten:
„Für die Einräumung des Wertpapierkredites sind die Beleihungswerte (…) maßgeblich. (…) Die [scil: Beklagte] ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelationen Depotwerte zu veräußern.“
Im März 2020 befanden sich im Depot des Klägers Aktien der Deutschen Bank, den Wertpapierkredit hatte er in voller Höhe in Anspruch genommen. Aufgrund gefallener Kurse teilte die Depotbank dem Kläger am 11.3.2020 mit, dass sich unter Berücksichtigung des aktuellen Beleihungswertes eine Unterdeckung ergebe und drohte zugleich an, Wertpapiere aus dem Depot im erforderlichen Umfang zu veräußern, sofern keine Deckungsrelation bis 18.3.2020 erfolge. Am 23.3.2020 veräußerte die Depotbank Aktien der Deutschen Bank aus dem Depot des Klägers.
Nicht zum Aktienverkauf berechtigt
Die Beklagte ist nach den Feststellungen des Senats dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet, da sie die Aktien des Klägers (genauer: seine Miteigentumsanteile am Sammelbestand nach § 6 Abs. 1 Satz 1 DepotG) veräußert hat, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein. Denn die Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank, wonach diese berechtigt ist, zur Wiederherstellung der vereinbarten Deckungsrelation Depotwerte zu veräußern, ist unwirksam. Diese Klausel hat drei Regelungsgehalte: Sie ermächtigt die Beklagte, über das Eigentum des Klägers zu verfügen (§ 182 Abs. 1, § 185 Abs. 1 BGB), sie statuiert ein Recht der Beklagten, den Kreditrahmen herabzusetzen, und sie berechtigt die Beklagte, den aus der Veräußerung der Aktien erzielten Erlös zu vereinnahmen. Sämtliche drei Regelungen verstoßen gegen rechtliche Bestimmungen.
Die Klausel ist bereits wegen Verstoß gegen § 125 Satz 1 BGB formnichtig, weil nach § 13 Abs. 1 DepotG eine Erklärung, durch die die Depotbank, ermächtigt wird, sich die anvertrauten Wertpapiere anzueignen oder das Eigentum an ihnen auf einen Dritten zu übertragen, und alsdann nur verpflichtet sein soll, Wertpapiere derselben Art zurückzugewähren, für das einzelne Verwahrungsgeschäft ausdrücklich und schriftlich abgegeben werden muss. Das ist vorliegend nicht der Fall, da die Klausel nicht ausdrücklich für das Verwahrgeschäft der Aktien der Deutschen Bank abgegeben worden ist.
Kreditrahmen darf nicht herabgesetzt werden
Das mit der Klausel einhergehende Recht, den Kreditrahmen herabzusetzen, ist nach § 499 Abs. 1, § 512 BGB und nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam. Nach § 499 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist in einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag eine Vereinbarung über ein Kündigungsrecht des Darlehensgebers unwirksam, wenn die Kündigungsfrist zwei Monate unterschreitet. Eine Kündigung ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich aus der Erklärung ergibt, dass das Darlehen mit Wirkung für die Zukunft beendet werden soll und die Darlehensvaluta zurückzuzahlen ist. Nach § 512 Satz 2 BGB findet § 499 Abs. 1 Alt. 2 BGB auch Anwendung, wenn die Vorschrift durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden soll. Das Recht der Beklagten, nach den Geschäftsbedingungen den Kreditrahmen herabzusetzen, kommt einer Kündigung gleich und umgeht § 499 Abs. 1 Alt. 2 BGB, sofern und soweit der Darlehensnehmer das Darlehen in einem Umfang in Anspruch genommen hat, der den herabgesetzten Rahmen übersteigt. In diesem Fall beinhaltet die Herabsetzung des Kreditrahmens nämlich, dass der den neuen Rahmen übersteigende bereits in Anspruch genommene Teil des Darlehens von dem Darlehensnehmer zurückzuführen ist.
Die Klausel ist insoweit auch nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam. Nach dieser Vorschrift ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen insbesondere die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders unwirksam, die versprochene Leistung zu ändern, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Vorliegend behält sich die Beklagte mit der streitgegenständlichen Klausel das Recht vor, den vereinbarten Kreditrahmen einseitig herabzusetzen. Damit räumt sie sich das Recht ein, den Wertpapierkreditvertrag einseitig zu ändern. Die Vereinbarung dieses Rechts ist dem Kläger auch nicht zuzumuten, da die „Wiederherstellung der Deckungsrelation“ weder hinreichend konkretisiert noch kalkulierbar ist.
Bank darf Veräußerungserlös nicht vereinnahmen
Auch das mit der Klausel einhergehende Recht der Beklagten, den aus der Veräußerung der Aktien erzielten Erlös zu vereinnahmen, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die Regelung ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren. Nach § 387 BGB setzt eine Aufrechnung voraus, dass zwei Personen einander gleichartige Leistungen schulden. Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss wirksam und fällig sei. Die streitgegenständliche Klausel setzt nach ihrem Wortlaut aber gerade keine Kündigung voraus, sondern will deren Notwendigkeit umgehen. Ist der Darlehensvertrag aber nicht – teilweise – gekündigt, steht der Beklagten gegen ihren Kunden kein Anspruch zu, mit dem sie gegen dessen Anspruch auf Auskehr des Erlöses aufrechnen könnte. Eine Aufrechnung ohne Gegenforderung ist mit dem Grundgedanken des § 387 BGB nicht zu vereinbaren.
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