Finanzielle Freiheit – wie viel ist genug?

Finanzielle Freiheit

Die „finanzielle Fluchtgeschwindigkeit“ ist der Moment, ab dem das Vermögen trotz aller Lebenshaltungskosten zunimmt. Welche Wege führen dorthin, wie viel ist genug und welche Fallstricke gibt es?

Ein Raumschiff muss über 40.320 Kilometer pro Stunde schnell sein, um der Erdanziehung zu entkommen. Ganz ähnlich lässt sich auch finanzielle Freiheit begreifen: Wer nach Steuern mehr mit seinen Investitionen erwirtschaftet (Geschwindigkeit), als er für seinen Lebensstil verbraucht (Anziehungskraft), durchbricht die Schwerkraft und gewinnt finanziellen Spielraum.

Ein vereinfachtes Beispiel

Nehmen wir an, ein Vermögen von einer Million Euro erwirtschaftet jährlich 5 % Rendite. Das ergibt 50.000 Euro pro Jahr und entspricht 4.167 Euro im Monat. Nach Abzug der Kapitalertragsteuer (25 %) und des Solidaritätszuschlags (5,5 % auf 25 %) bleiben etwa 3.068 Euro netto. Ob das für finanzielle Freiheit reicht, hängt von den monatlichen Lebenshaltungskosten ab. Wer sparsam lebt und mit 2.000 Euro im Monat auskommt, für den wäre es der Fall. Der Überschuss von rund 1.000 Euro kann zum Beispiel zum weiteren Vermögensaufbau investiert werden, um einen Puffer für Jahre mit niedrigeren Renditen, zum Inflationsausgleich oder für künftige Mehrausgaben aufzubauen.

Liegen die monatlichen Lebenshaltungskosten hingegen bei 4.000 Euro, müssten mindestens 1.000 Euro monatlich hinzuverdient werden. Dennoch bedeutet auch diese Konstellation zumindest eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit. Denn der erforderliche Zuverdienst ist überschaubar und lässt Raum für mehr Lebensqualität oder die Freiheit, einer erfüllenden Tätigkeit ohne Einkommensdruck nachzugehen. Dasselbe Prinzip gilt auch bei kleineren Vermögen. 

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Viele Wege führen zum Ziel

Finanzielle Unabhängigkeit gilt vermutlich für viele als erstrebenswertes Ziel. Klassisch führen drei Wege dorthin: die Gründung eines erfolgreichen Unternehmens, ein großes Erbe oder das konsequente Investieren der Ersparnisse. Wer ein Unternehmen aufbaut, braucht Mut und Können. Ein Erbe wiederum lässt sich nicht planen. Es fällt einem zu oder eben nicht. 

Der dritte Weg des Investierens steht dagegen grundsätzlich allen offen und kann zumindest zur relativen finanziellen Freiheit führen. Denn diese lässt sich nicht nur durch ein hohes Einkommen oder großes Vermögen erreichen, sondern auch durch bewussten Konsumverzicht. Schon Value-Investing-Legende Benjamin Graham betonte, dass die beste Finanzstrategie darin besteht, im Rahmen seiner Möglichkeiten zu leben. 

Doch, wie viel Vermögen ist nun genug? Das ist individuell unterschiedlich. Für manche reicht ein liquides Nettovermögen von 500.000 Euro, um finanziell frei zu sein. Andere fühlen sich selbst mit fünf Millionen noch nicht unabhängig.

Die Frage nach dem Warum

Doch warum strebt man überhaupt nach finanzieller Freiheit? Viele glauben, mit ausreichend Geld ließen sich alle Probleme lösen. Doch das Leben ist komplexer. Gesundheit, erfüllende Beziehungen und Zufriedenheit hängen, wenn überhaupt, nur bedingt vom Kontostand ab. 

Zudem setzt mit wachsendem Wohlstand ein Gewöhnungseffekt ein: Was einst als Privileg empfunden wurde, wird schnell zur Selbstverständlichkeit. Die Folge ist ein Streben nach „immer mehr“, das in einem goldenen Hamsterrad enden kann. 

Genau davor warnt Bestsellerautor Morgan Housel, wenn er schreibt, dass sich viele Menschen mit der Zeit darin verfangen, Geld als Maßstab für Status anzusehen und sich mit anderen zu vergleichen. Wer ständig mehr ausgeben muss, um mit anderen mitzuhalten, wird nie wirklich frei und wohl auch nicht glücklich sein. Der Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel betont, Zufriedenheit entsteht nicht durch Reichtum, Schönheit oder Bekanntheit, sondern durch stabile soziale Beziehungen, Gesundheit, sinnstiftende Tätigkeiten und das Gefühl, das eigene Leben selbst gestalten zu können.

Ein sinnvolles Motiv für finanzielle Freiheit liegt daher im Gefühl, abgesichert zu sein und frei über seine Lebenszeit verfügen zu können. „In der Glücksforschung gehen wir davon aus, dass die knappe Ressource unsere Zeit ist“, sagt Ruckriegel. In Sekunden gerechnet ist sie zwar reichlich vorhanden, 32 Lebensjahre entsprechen rund einer Milliarde Sekunden. Doch im Gegensatz zu Geld ist sie unwiederbringlich. Man sagt, Zeit ist Geld. Aber Zeit ist wertvoller. Börsenlegende Warren Buffett würde heute mit 94 Jahren vermutlich jeden Penny für eine weitere Milliarde Sekunden an Lebenszeit eintauschen.

Was nach dem Ziel kommt

Finanzielle Freiheit ist ein Meilenstein im Leben und der ist oft verbunden mit großem Ehrgeiz, Disziplin und Durchhaltevermögen. Doch gerade dieser Ehrgeiz kann es erschweren, die erreichte Freiheit tatsächlich zu genießen. Wer seine Arbeit als sinnstiftend erlebt, wird kaum vollständig damit aufhören wollen. Arbeit kann mehr sein als reine Erwerbstätigkeit, besonders wenn man die Rahmenbedingungen selbst bestimmen kann. Hinzu kommt: Weder das Leben noch die Finanzmärkte sind vollständig planbar. Auch wer heute als finanziell unabhängig gilt, kann morgen mit neuen Herausforderungen konfrontiert sein. 

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