Wirtschaftspolitik der Ampelkoalition – SCHNELLER Fortschritt wagen

Ampelkoalition

Verpasste Energiewende, verschleppte Digitalisierung und eine Rentenversicherung, die wenig auf den demografischen Wandel vorbereitet ist. Die Ampelregierung hat inzwischen einige Punkte auf ihrer To-do-Liste abgehakt. Der massive Reformdruck zwingt jedoch zu schnellerem Handeln.

Über 170 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag der Ampelregierung aus SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP, der den Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ trägt. Dort geht es um nichts weniger als Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft, Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen.

Mission: Klima, Umwelt und Digitales

Bereits im Januar dieses Jahres wurde daher noch schnell ein Nachtragshaushalt in Höhe von 60 Mrd. Euro beschlossen. Die Zeit drängte, denn die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wurde zwar aufgrund der Pandemie ausgesetzt, 2023 soll sie aber wieder eingehalten werden. Nicht benötigte Kreditermächtigungen für das Jahr 2021, die ansonsten verfallen wären, wurden schnell noch dem Energie- und Klimafonds zur Verfügung gestellt. 

Weiterentwickelt zum Klima- und Transformationsfonds soll er dem Umbau in eine klimaneutrale Volkswirtschaft dienen. Auch eine Kreislaufwirtschaft, in der Produkte wiederverwendbar, recycel- und reparierbar sind, wird zum Schutz von Klima und Ressourcen angestrebt.

Ein Meilenstein stellt für die Koalition das Jahr 2030 dar. Bis dahin soll Deutschland idealerweise aus der Kohle ausgestiegen sein. Und 80 % des Strombedarfs sollen dann durch erneuerbare Energien abgedeckt werden – insbesondere durch den Ausbau von Windkraft– und Solaranlagen. Für Wasserstoff ist eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt verfügbar, die Wärme wird zu 50 % klimaneutral erzeugt und 75 % des Schienennetzes sind elektrifiziert – so der Plan von Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) & Co. 

Damit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw 2030 auf den Straßen rollen, entdeckt Deutschland zudem die Industriepolitik neu. Batteriefabriken werden zum Teil mit milliardenschwerer Förderung des Bundes und der EU aus dem Boden gestampft. Dazu kommt das ewig beschworene Mantra des Ausbaus der digitalen Infrastruktur.  

Auf Kurs: Finanzen und Steuern

Zur Finanzierung von grünen Ausgaben setzt die Ampelkoalition auf Green Bonds, also Anleihen, die ausschließlich in nachhaltige Projekte investieren. Angesichts der Größenordnung der Transformation wird allerdings zusätzlich privates Kapital benötigt. Jedoch lässt die im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Superabschreibung für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter 2022 und 2023 noch auf sich warten. 

Ansonsten sind einige steuerliche Änderungen, die jüngst auf den Weg gebracht wurden, noch von der Pandemie geprägt. Unter anderem die Homeoffice-Pauschale wurde bis zum 31.12.2022 sowie die erweiterte Verlustverrechnung für Unternehmen bis Ende 2023 verlängert. Der Verlustvortrag soll zugleich auf die zwei unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeiträume ausgeweitet werden. Ebenfalls bis Ende Juni 2022 verlängert wurde der erleichterte Zugang zur Kurzarbeit. 

Außerdem ist vorgesehen, den Pauschbetrag, den ein Arbeitnehmer pauschal für seine Werbungskosten geltend machen kann, angesichts der gestiegenen Energiepreise um 200 Euro auf 1.200 Euro anzuheben. Um die Inflation auszugleichen, wird ferner der Grundfreibetrag von 9.984 Euro auf 10.347 Euro erhöht. Beides soll rückwirkend zum 1. Januar 2022 geschehen. 

Allerdings könnte die für 2022 geschätzte Inflationsrate aufgrund der EZB-Geldpolitik, der Lieferengpässe und der Energie- und Rohstoffpreise tatsächlich deutlich höher liegen als von der Koalition bei Verabschiedung des Entlastungspakets angenommen. Ein Grund mehr, das Wirtschaftsmodell zügig in eine echte Kreislaufwirtschaft umzubauen.

Soziales Gegensteuern

Im Koalitionsvertrag ist außerdem festgelegt, dass die Bundesregierung den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Das soll laut Kabinettsbeschluss am 1. Oktober der Fall sein.

Mit den bisherigen Maßnahmen folgte die Regierung überwiegend dem Drehbuch ihres Koalitionsvertrags. Zumindest so lange, bis Putin seine Realität der Welt aufzwang. Seitdem spielen die Energiepreise verrückt. Für den sozialen Ausgleich zum steigenden CO2-Preis sollte ursprünglich ein Klimageld sorgen. Jetzt musste aber alles Schlag auf Schlag gehen. Anfangs beschloss das Kabinett einen einmaligenHeizkostenzuschuss von 270 Euro für Wohngeldempfänger (bei einem Haushalt mit zwei Personen 350 Euro, für jedes weitere Familienmitglied 70 Euro) sowie von 230 Euro für Azubis und Studierende im BAföG-Bezug. Außerdem einigte sich die Ampel darauf, dass für Stromkunden die EEG-Umlage bereits Mitte des Jahres entfallen soll. 

Und es ist vorgesehen, die befristete Fernpendlerpauschale rückwirkend zum 1.1.2022 auf 38 Cent anzuheben. Diese wirkt sich zugleich auf die Mobilitätsprämie für geringverdienende Fernpendler aus. Praktisch in einer Nacht- und Nebelaktion wurden dann eine einmalige Energiepauschale von 300 Euro für jeden einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen auf sein Bruttogehalt, vergünstigte Tickets für den öffentlichen Personennahverkehr (monatlich 9 Euro für 90 Tage) sowie die Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate vereinbart. Der Benzinpreis sinkt damit um 30 Cent pro Liter, der Preis für Diesel um 14 Cent je Liter. 

Empfänger von Sozialleistungen erhalten zum Pandemiezuschuss nun eine weitere Einmalzahlung von 100 Euro. Dem Sofortzuschlag von 20 Euro pro Monat für von Armut betroffene Kinder, der bis zur Einführung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Grundsicherung gewährt wird, soll jetzt ein Einmalbonus von 100 Euro pro Kind folgen. Dieser wird auch auf den Kinderfreibetrag angerechnet.

Auf die lange Bank geschoben?

In den Hintergrund getreten sind bei allem sozialen Gegensteuern offenbar die geplanten Änderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Koalitionsvertrag sah die Einführung einer teilweisen Kapitaldeckung vor, die sogenannte „Aktienrente“, für die sich Bundesfinanzminister Christian Lindner vor der Bundestagswahl stark gemacht hatte. 2022 sollten zunächst 10 Milliarden aus dem Haushalt dafür zur Verfügung stehen. Doch im Haushaltsentwurf 2022 der Bundesregierung findet man diesen Posten bisher tatsächlich nicht.

Im Koalitionsvertrag vereinbart wurde eine Verpflichtung für (neue) Selbstständige zur Altersvorsorge. Außerdem wurde der Nachholfaktor, ein Bestandteil der sogenannten Schutzklausel der Rentenanpassungsformel, wieder aktiviert. Das Wiedereinsetzen des Nachholfaktors sorgt dafür, dass bereits zum 1. Juli die nicht vorgenommene Rentenkürzung des vergangenen Jahres mit der Rentenerhöhung verrechnet wird. 

Für die Modernisierung der Kranken- und Pflegeversicherung ist wenig Bahnbrechendes in der Pipeline. Aber vielleicht geht auch dort plötzlich alles irgendwann schnell.

Dieser Artikel stammt aus der AnlegerPlus-Ausgabe 5/2022.

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