Erneuerbare Energien: Widerspruch von Worten und Taten

Solarzellen und Windräder

Die Pandemie und ihre weitreichenden ökonomischen Auswirkungen entwickeln sich zur Jahrhundertkrise, die von Politikern und Notenbanken mit immer gigantischeren Summen bekämpft wird. Doch jede Krise ist auch eine Chance. So bietet die Coronapandemie die Gelegenheit, eine neue Dynamik der Wirtschaft durch die Beschleunigung von Dekarbonisierung und Energiewende zu entfesseln.

Ein beschleunigtes Tempo bei der Umsetzung der von UN, EU und Regierungen beschlossenen Klima-Maßnahmen wäre wünschenswert, denn unser Planet wird immer heißer. Doch obwohl beispielsweise die Stromkosten von heute installierten Solarkraftwerken um 83 % unter denen von vor einem Jahrzehnt liegen, ist die Dynamik beim Ausbau der Kapazitäten von erneuerbaren Energien abgebremst. 2019 stiegen entsprechende Investitionen global nur noch um 1 % auf 282,2 Mrd. US-Dollar. Davon entfielen 54,6 Mrd. US-Dollar auf Europa, ein Minus von 7 % gegenüber 2018. In den USA dagegen wurde ein Wachstum von 28 % auf 55,5 Mrd. US-Dollar verzeichnet, vor allem weil Onshore Wind Developer Steuervergünstigungen nutzten, solange sie noch gelten. In China wurden 83,4 Mrd. US-Dollar in erneuerbare Energien investiert, der niedrigste Stand seit 2013.

Insgesamt wurde im vergangenen Jahr aber mehr in erneuerbare Energien investiert als in fossile und nukleare Energieerzeugung. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie, an der die Frankfurt School-UNEP Collaborating Centre beteiligt war. Demnach flossen vergangenes Jahr jedoch auch 37 Mrd. US-Dollar in neue Kohlekraftwerke und 47 Mrd. US-Dollar in Gaskraftwerke sowie 15 Mrd. US-Dollar in Nuklearkraftwerke.

Massive Subventionen für fossile Energien

Obwohl Regierungen und Unternehmen sich verpflichtet haben, bis 2030 neue erneuerbare Kapazitäten von 826 GW zu schaffen, was Investitionen von rund 1 Billion US-Dollar erfordert, reicht dies noch lange nicht, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Dazu sind laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und IEA (Internationale Energieagentur) 2019 insgesamt 478 Mrd. US-Dollar von 77 Regierungen als Subventionen in Produktion und Verbrauch fossiler Energien geflossen. Viele Klimaforscher warnen vor der unabwendbaren Klimakatastrophe, wenn nicht jetzt entschieden gehandelt wird.

Trotz aller „grünen“ Lippenbekenntnisse und Ankündigungen von Regierenden, Vertretern der EU und weiteren Institutionen sieht jedoch die Realität in nackten Zahlen gefasst ganz anders aus. Sogar schockierend anders! Laut einer Analyse von Bloomberg New Energy Finance von Anfang Juni entfielen 509 Mrd. US-Dollar der von Regierungen seit Beginn der Pandemie auf den Weg gebrachten Stimulierungsprogramme auf carbon-intensive Industrien wie Airlines, Automobil, Öl & Gas und sogar Kohle. Und dies ohne Auflagen, die Emissionen zu reduzieren. Demgegenüber stehen lediglich 18,5 Mrd. US-Dollar mit klimarelevanten Auflagen und nur 12,3 Mrd. US-Dollar für Low-carbon-Industrien wie Erneuerbare Energien.

Damit sind die Stimulierungspakete 2020 noch weniger „grün“ als die der Finanzkrise 2008! Sieht so die praktische finanzielle Umsetzung der beschlossenen Klimamaßnahmen aus – wie der EU-Imperativ einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050?

Net Zero als kommerzielle Opportunität

Da wegen der Pandemie der Klimagipfel COP26 auf 2021 verschoben wurde und sich auch praktisch wenig geändert hat, ergriff der Sondergesandte der UN für Klima & Finance, Mark Carney, zuvor bei der Bank of England, erneut die Gelegenheit, um mit der Net-Zero-Initiative (einem Zusammenschluss von Unternehmen, die bereit sind, konsequente Klimaziele in Bezug auf Klimaneutralität zu verfolgen) auf die „größte kommerzielle Opportunität unserer Zeit“ hinzuweisen.

Von Unternehmen fordert Carney Überleitungspläne, die es Investoren ermöglichen, diejenigen, die die Chancen des Wandels zu nutzen wissen, von denen zu unterscheiden, die es nicht mehr geben wird. Carney hatte jahrelang vor den „stranded assets“, gewarnt, die fossile Brennstoffe darstellen und damit wesentlich zu der Divestment-Welle institutioneller Investoren beigetragen. Verluste für Anleger wie zuletzt bei BP, Royal Dutch Shell und ExxonMobil wären so möglicherweise z. T. vermeidbar gewesen.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie haben die Fed, die EZB und weitere Notenbanken im zweiten Halbjahr 2019 die erst Anfang des Jahres gestoppten QE-Programme wieder hochgefahren, um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Die Wertpapierkaufprogramme sind seit Beginn der Pandemie nochmals deutlich gesteigert worden. Die Bilanz der amerikanischen Fed bewegt sich in Richtung 10 Billionen US-Dollar, nach der Finanzkrise waren 4,5 Billionen US-Dollar erreicht worden. Gekauft werden u. a. auch Junk Bonds (hochverzinsliche Schuldverschreibung von Emittenten schlechter Bonität), ETFs, eigentlich alles außer Aktien – bislang.

Die EZB hält per Ende März 2020 Finanzaktiva in Höhe von fast 2,8 Billionen Euro. Für 2020 sind weitere Wertpapierkäufe in Höhe von insgesamt 1,1 Billionen Euro geplant. Zu den vier bestehenden Programmen ist nun auch noch das Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) in Höhe von 750 Mrd. Euro dazu gekommen.

EZB finanziert vor allem Klimasünder

Das Problem mit der EZB besteht darin, dass 63 % ihres neu geschöpften QE-Kapitals in carbon-intensive Industrien fließt, obwohl die EU die Emissionen bis 2030 um 40 % reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität erreichen will. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Reclaim Finance ermittelte, dass allein zehn im Bereich Kohle aktive Unternehmen sowie 38 aus dem Bereich Öl & Gas Profiteure der angeblich „marktneutralen“ QE-Kaufprogramme sind. Darunter sind ENEL, EDF, EDP, Engie und Fortum Oyi als Betreiber von Kohlekraftwerken sowie die auch im Fracking aktiven Öl & Gas-Unternehmen ENI, Royal Dutch Shell, Repsol und TOTAL. Weiterhin profitieren von den EZB-Kaufprogrammen die Automobilhersteller Daimler, VW, BMW, Peugeot und Renault sowie Airlines wie Lufthansa und Ryan Air, der Flugzeugbauer Airbus und die Flughafenbetreiber in Brüssel und Amsterdam. Insgesamt 220 Mrd. Euro hatte die EZB schon Stand Anfang April 2020 in carbon-intensive Industrien kanalisiert.

Solange Regierungen und Notenbanken carbon-intensive Industrien mit Billionen-Beträgen subventionieren und finanzieren, wird der notwendige und bereits begonnene Strukturwandel – der Übergang zu klimaneutralen Energien und Technologien – nicht wirklich befördert, sondern abgebremst. Damit bleiben Chancen ungenutzt, die der Wirtschaft neuen Auftrieb verschaffen und neue innovative Unternehmen hervorbringen können. Es bleibt Sache der Medien, die Fehlentwicklungen aufzudecken, sodass Wähler und Investoren auf informierter Basis entscheiden können.

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